Ich wundere mich auch ein wenig - allerdings mehr über die bundesweite Anteilnahme und weniger über die Reaktionen in Hannover. Um das zu verstehen, muss man Hannover, die Rolle von 96 in der Stadt und wiederum den Status von Enke im Verein besser verstehen.
Hannoveraner ansich sind ungemein loaklpatriotisch - und zwar zum einen wegen der Verwurzelung in der Region (wer in Hannover wohnt ist, hat da meist auch seine Kindheit verbracht - freiwillig zieht man da ja nicht hin), zum anderen aber auch gerade weil Hannover für viele Nicht-Hannoveraner der Inbegriff einer langweiligen Stadt ist.
Das einzige Aushängeschild von Hannover ist im Grunde Hannover 96 - der einzige überregional relevante Verein aus der Stadt, mit dem alle aufgewachsen sind. Nach meiner Erfahrung spielt 96 in Hannover eine sehr viel größere Rolle als beispielsweise der HSV in Hamburg. Blöd halt nur, daß 96 mittlerweile so etwas wie eine graue Maus ist und so niemand außerhalb Hannovers die Begeisterung für den Verein verstehen kann.
Hier kommt Enke ins Spiel. Für Hannoveraner steht fest: Enke ist der mit Abstand beste Spieler, der je in Hannover gespielt hat. Er ist auf jeden Fall der beste aktive Torwart, vermutlich aber auch nicht schlechter als Oli Kahn zu seiner besten Zeit. Überdies ist Enke intelligent, bescheiden und ausgesprochen sympathisch. Enke dürfte in Hannover einen Bekanntheitsgrad von über 90% gehabt haben - und jeder fand ihn irgendwie toll. Dann hat in Hannover der Tod seiner Tochter natürlich eine noch größere Rolle gespielt als anderswo. Man kannte das Schicksal Enkes, viele, viele haben mit ihm gelitten und alle haben sich gefreut, daß er das (scheinbar) überwunden hatte. Man hat sich mit ihm über die Adoption von Leila gefreut, seine sportlichen Erfolge in der NM, dann wieder nach dem Kahnbeinbruch mit ihm gelitten und war wegen der Viruserkrankung wieder bestürzt. All das waren bundesweit nur Randnotizen - in Hannover aber über Tage zentrale Themen in den Medien, den Kneipen und bei Gesprächen mit Kollegen oder Nachbarn. Gleichzeitig ist der Respekt für ihn weiter gestiegen, wie er auch mit diesen Rückschlägen umging. In Hannover hat man soviel Anteilnahme an den sportlichenEfolgen und privaten Rückschlägen von Enke genommen, daß er irgendwie zur Familie gehörte. Spätestens als Enke dann noch seinen Vertrag in Hannover verlängert hat und auch zu dieser Saison nicht gewechselt ist, hatte er in Hannover quasi einen gottgleichen Status - nur daß er eben nicht so unnahbar war. Er war einfach einer von uns (obwohl er doch eigentlich viel zu gut für Hannover war).
Insofern ist die Trauer in Hannover völlig echt. Ich selbst war von dem Tod einer mir nicht bekannten Person noch nie so betroffen. Meine Eltern, die sich nur am Rande für Fußball interessieren, waren völlig schockiert. Ich weiß von einigen Leuten (gar nicht mal Fans), die spontan geweint haben. Mich rief vorgestern ein Freund an, der das Gespräch damit eröffnete: "Du, ich wollte eigentlich nur mal mit einem Freund über die Sache mit Robert Enke sprechen!" Und so sentimental ist der eigentlich gar nicht.
Vor diesem Hintergrund muss man auch den Schritt von Teresa Enke vor die Presse bewerten. Diese Pressekonferenz und die aus der Etnfernung vermutlich ungewöhnlich erscheinende Anteinahme in Hannover hat dann zu diesem bundesweiten Medienereignis geführt. Dazu kommt, daß die mesnchlichen Qualitäten von Robert Enke offenbar auch nicht anderen verborgen geblieben sind. Da hat sich dann sicher auch irgendwann echte Trauer mit der Event-Trauer vermischt - aber letztlich steht es uns nicht zu, das zu bewerten.
Boardy-Exilanten