Guter Artikel von Spon. Stimmt mich auch nachdenklich und sogar traurig.
Quelle: Der 1. FC Kaiserslautern in der Krise: Der Betze macht das Licht aus - SPIEGEL ONLINE
Der Betze macht das Licht aus
Der 1. FC Kaiserslautern war eine Ikone der Fußball-Bundesliga. Unser Autor hat noch die guten Tage des Klubs miterlebt. Umso bitterer ist auch für ihn der Niedergang des Vereins.
Von Johannes Ehrmann
Mit Pavel Kuka fing alles an, für mich jedenfalls. Der tschechische Nationalstürmer, der im Winter 1993/1994 zum 1. FC Kaiserslautern wechselte, wurde schon kurz darauf mein erster, echter Fußballheld. Eine Spitze mit hängenden Schultern, die acht Tore in zehn Spielen machte und nebenbei zehn weitere Großchancen verdaddelte, ein verschmitzter Underdog, ein perfekter Lauterer Hero.
Er traf auch in Hamburg am letzten Spieltag, im alten Volkspark mit seiner Laufbahn und den vier mächtigen Flutlichtmasten. Kaiserslautern lauerte als Zweiter hinter den Bayern, konnte noch Meister werden, es war mein erstes Bundesligaspiel im Stadion. "HSV! HSV!", riefen die Hamburger. "HIV! HIV!", riefen die Lauterer zurück. Das war so die Zeit. Mai 1994, ich war elf Jahre alt.
Unglaublich, dass das bald 25 Jahre her sein soll, so frisch scheinen die Erinnerungen. Andererseits: Mit einem Blick auf das, was heute übrig ist vom Mythos FCK, der meine Kindheit und Jugend geprägt hat wie kaum etwas anderes, ist es im Grunde erstaunlich, dass es nicht noch länger her ist.
Der Niedergang sucht seinesgleichen
Die Konsequenz des Niedergangs beim Deutschen Meister von 1991 und 1998, beim Pokalsieger von 1990 und 1996, der damit im Grunde die deutsche Mannschaft der Neunzigerjahre war, sucht ihresgleichen. Seit Jahren schon gleicht die Vereinsentwicklung einem havarierten PKW, der in Zeitlupe einen endlos langen Berghang herunterrutscht.
Der FCK im Jahr 2018, das ist ein Verein, der im Mittelmaß der dritten Liga herumkrebst; der im Verbandspokal über die Dörfer tingelt; der in Michael Frontzeck gerade mal wieder seinen Trainer entlassen hat und bis nächstes Jahr irgendwo zwölf Millionen Euro auftreiben muss.
Was bleibt, ist die Erinnerung. An Kuka, Kuntz und Konsorten. An die Zeit, als Lautern Stammgast im Europapokal war und den FC Barcelona an die Wand spielte. Als Weltmeister in der Mannschaft standen, Andy Brehme, Youri Djorkaeff, und hochbegabte Jungstars wie Michael Ballack und Miroslav Klose. Als Olaf Marschall den Bundesliga-Aufsteiger 1. FC Kaiserslautern fast im Alleingang zum Meistertitel schoss. 21 Tore in 24 Spielen, trotz Verletzungspause mitten in der Saison. Wie könnte man solche Zahlen vergessen.
Während der letzten sportlichen Hochphase, 2010, als es noch einmal mit tollem Fußball Richtung Bundesliga ging, besuchte ich für mein Buch "Wenn der Betze bebt" die alten Helden und sprach mit ihnen über die guten, alten Zeiten.
Marschall kam mit dem Rennrad zum Bäcker
Goalgetter Marschall kam auf dem Rennrad zu einem Bäckerei-Café außerhalb von Kaiserslautern, in enger Hose und buntem Leibchen. Er legte den Helm auf den Tisch und sagte, Fußball gehe nicht mehr, das Knie. Nur noch Golf und Radfahren. Ein geschaffter Held mit dem gleichen schelmischen Grinsen im Gesicht wie früher.
Miroslav Klose, damals beim FC Bayern unter Vertrag, nahm sich eine halbe Stunde an seinem trainingsfreien Tag und schwärmte in einem Besprechungsraum an der Säbener Straße von den Begegnungen mit Horst Eckel, einem der fünf Lauterer Weltmeister von 1954.
Klaus Toppmöller, mit 108 Toren wohl auf ewig Lauterer Rekordtorschütze in der Bundesliga, deutete nach unserem Gespräch auf meinen Ausdruck mit der Statistik des legendären 7:4-Siegs gegen die Bayern in den Siebzigern. "Brauchen Sie den noch?", fragte er und hatte schon den gefalteten Zettel innen ins Sakko gesteckt. Grinsend schlenderte er davon.
Teil eines großen Ganzen
Diese Fußballspieler hatten Großes für den Klub geleistet, aber es schien, als hätte dieser Klub auch ihnen etwas gegeben, etwas Zeitloses, das sie noch immer stolz machte, das sie ebenso rührte wie mich. Sie bezogen sich aufeinander. Sie waren Teil eines großen Ganzen, so wie wir Fans es ebenfalls waren.
So wie mein Opa, ein Lauterer Junge aus der Kanalstraße, der die Walter-Elf zaubern sah und den fünf Weltmeistern von Bern im offenen Wagen zujubelte, den Weltmeisterfußballern aus seinem kleinen Pfälzer Städtchen.
So wie mein Vater, der sich als kleiner Bub auf einem mitgebrachten Holzhocker in der Westkurve den Hals verrenkte, um mitzukriegen, was sich da unten auf dem Rasen abspielte.
So wie ich selber, ein elfjähriger Junge mit staunendem Blick im Hamburger Volkspark, oder zwei Jahre später selig im strömenden Regen im Berliner Olympiastadion, als Martin Wagner den Bundesliga-Absteiger FCK mit seinem linken Eisenfuß zum DFB-Pokalsieg schoss. Zwei Jahre später war er dann Deutscher Meister, unser Betze, als Aufsteiger. Einmalig. Oder?
Ein schleichender Auflösungsprozess
In meiner kindlichen Naivität dachte ich, es würde einfach immer so weitergehen. Siege, Titel, Heldenstorys.
Heute, gut zwei Jahrzehnte später, bin ich gespalten. Ein Teil von mir ahnt, dass das alles, dieser unaufhaltsame Untergang einer der großen Ikonen des deutschen Fußballs, dieser schleichende Auflösungsprozess, einfach nur folgerichtig ist. Die Quittung aus 20 Jahren Großkotzigkeit und Misswirtschaft, aus Fehleinschätzungen und Augenwischerei und Pfälzer Gewurschtel inmitten eines immer erbarmungsloser werdenden Konkurrenzkampfs. Bad Business.
Der andere Teil von mir träumt noch ein bisschen, er springt in Gedanken im Block auf und ab, weil Klose und Djorkaeff den Auswärtssieg in Berlin herausschießen, weil der junge Ballack einen Weitschuss unter die Latte setzt, weil Andy Buck in letzter Sekunde gegen Tottenham das Weiterkommen im Uefa-Cup sichert.
Quelle: Der 1. FC Kaiserslautern in der Krise: Der Betze macht das Licht aus - SPIEGEL ONLINE