Erschütternde Zahlen
Der bisherige Großaktionär Norman Rentrop hat die Flucht ergriffen: Er verkauft sein komplettes BVB-Aktienpaket.
Von Freddie Röckenhaus
Wie erwartet, versucht das börsennotierte Unternehmen Borussia Dortmund durch eine am Donnerstag auch offiziell angekündigte Kapitalerhöhung an frisches Geld zu kommen. Offenbar zwingt die Finanzmisere zu diesem Schritt, bei dem 9,75 Millionen neue Aktien auf den Markt gebracht werden. Nach Angaben der Geschäftsführung um Gerd Niebaum soll es „für einen erheblichen Teil“ der neuen Aktien zu 2,50 Euro das Stück bereits bindende Abnahmeangebote geben.
In der gesetzlich vorgeschriebenen „ad-hoc-Mitteilung“ zur Kapitalerhöhung hat der BVB auch bereits vorläufige Bilanzzahlen für das abgelaufene Geschäftsjahr veröffentlicht. Trickreich, wie schon in den letzten Monaten gewohnt, verkündet der Klub dabei eine Zahl von „21 bis 22 Millionen Euro“ als „operativen Verlust“, in dem Zinszahlungen, Abschreibungen, Buchverluste und Steuern allerdings nicht enthalten sind. Hierfür weist Dortmund, gegen jede Bilanz-Gepflogenheit, einen Extraposten in Höhe von 45 Millionen Euro aus.
Erwartungen übertroffen
Aus den zur Verfügung gestellten Zahlen ergibt sich demnach ein offizieller Bilanz-Verlust von kaum glaublichen 66 bis 67 Millionen Euro für die abgelaufene Saison 2003/2004. Bisher war eher mit einem Jahresverlust von rund 50 Millionen Euro gerechnet worden. Erboste Fans kommentierten die erschütternden Zahlen in Internet-Fan-Foren wie „schwatzgelb.de“ mit Sarkasmus, wie etwa: „Endlich übertrifft die Borussia mal wieder alle Erwartungen.“
Andere schreiben: „Wer sagt, dass 60 Millionen Minus übertrieben sind und dass 150 Millionen Schulden nur Spekulation sind? Aber es gibt immer noch genügend Leute, die sich erzählen lassen, wie viel tolles Vermögen wir noch als Deckung haben.“
Auch der bisherige Großaktionär Norman Rentrop, der rund 15 Prozent des BVB-Aktienkapitals hielt, hat die Flucht ergriffen. Rentrop ließ am Donnerstagnachmittag bekannt geben, dass er sein komplettes Aktienpaket außerbörslich verkauft hat.
Offenbar hält sich Rentrops Verlust in Grenzen, weil er sein Paket ebenfalls zu Rabattkonditionen von der Deutschen Bank übernommen hatte. Die Deutsche Bank hatte 2000 den Börsengang des BVB als Konsortialbank durchgeführt, sich aber im Herbst 2003 komplett aus Borussia Dortmund zurückgezogen. Rentrops Anteil soll, dem Vernehmen nach, an einen Neckermann-Erben gegangen sein. Der Wechsel des Aktienpakets ist gesetzlich meldepflichtig.
Der Verleger Rentrop hatte, gemeinsam mit dem Großaktionär Michael Schiemann, der 5,1 Prozent hält, in den vergangenen Wochen massiv auf eine Umbesetzung des Aufsichtsrates beim BVB gedrängt. Dort sitzen, neben dem als unabhängig eingeschätzten Aufsichtsratsvorsitzen, dem Software-Unternehmer Winfried Materna, ausschließlich Männer, die von Gnaden des Präsidenten Niebaum dort installiert sind.
So unter anderem der Vorstands-Chef des börsennotierten Parfüm-Konzerns Douglas, Henning Kreke. Eine Kontrollfunktion, die der Aufsichtsrat ansonsten in börsennotierten Unternehmen ausübt, werde angesichts der persönlichen Nähe der Mitglieder zum Geschäftsführer Niebaum praktisch nicht ausgeübt. Nicht zuletzt wegen des Versagens des Aufsichtsrates sei ein so katastrophales Ergebnis möglich geworden. Es heißt von Rentrop außerdem, er habe eine sofortige Ablösung Niebaums als Geschäftsführer angestrebt.
Großaktionär Michael Schiemann, selbst langjähriger Unternehmer und Aufsichtsratsvorsitzender der Gilde-Brauerei, sieht die Entwicklung beim BVB ebenfalls mit ausgesprochener Besorgnis: „Die Kapitalerhöhung stellt mich vor eine schwierige Entscheidung: Entweder wird die Quote meines Aktienanteils verwässert, oder ich müsste Aktien nachkaufen. Beides ist nicht schön.“ Er vermisse bei der Borussia bisher ein Konzept zur „Neuordnung der Finanzen“.
Die Kapitalerhöhung war offenbar für den klammen BVB die einzige Möglichkeit, sich kurzfristig mit Kapital zu versorgen. Dem Klub stehen und standen, auch nach eigener Bestätigung, in diesen Tagen mehrere große Zahlungsverpflichtungen ins Haus. Unter anderem sind dies Gewerbesteuerzahlungen in Höhe von bis zu fünf Millionen Euro, vier Millionen für die Rückabwicklung der Namensrechte am Westfalenstadion an die Commerzbank-Tochter Assunta sowie die aktuellen Gehaltszahlungen an den Lizenzspieler-Kader für den Monat August in Höhe zwischen 2,5 und drei Millionen Euro.
(SZ vom 17.9.2004)