@Principazzuro: Entschuldige, daß ich Dich so lange habe warten lassen. Ich mußte erst ein wenig über meine Antwort nachdenken, weil Dich nicht nur mit ein paar Sprüchen abbürsten will.
Wir sollten vielleicht (beide) unseren Ton etwas mäßigen und ich bitte Dich, nicht Sachen in meinen Text hineinzudeuten, die da nicht stehen.
Mir geht es vor allem darum, die Maßstäbe nicht außer Kraft zu setzen, was meiner Meinung nach im Moment geschieht. EIne Vielzahl unserer Medien schürt eine Hysterie mit dem Grundton, >die sind böse, deshalb sind alle Mittel Recht<. Und das sind sie meiner Meinung nach nicht.
@Tibet. Selbstverständlich sehe ich das Vorgehen der Chinesen kritisch. Nicht die Tatsache, daß Tibet zur VR China gehört, sondern die Maßnahmen der "Chinesisierung", beispielsweise durch den bewußten Zuzug von Han-Chinesen. Die Forderung nach Unabhängigkeit halte ich für übertrieben. Das Recht darauf, was oft bemüht wird, halte ich für mindestens zweifelhaft. Im übrigen, wie oben erwähnt, fordert das ja nicht einmal der Dalai Lama als höchster Repräsentant der tibetischen Exilregierung. Die fordern meines Wissens eine stärkere Autonomie, auch wenn sie die Annexion als unrechtmäßig ansehen. Mir ist allerdings die Legitimierung der Exilregierung nicht ganz klar. Laut Wikipedia hat sie der Dalai Lama (ein "Gottkönig"!) im Exil gebildet.
Was in Tibet tatsächlich passiert und was im Vorfeld der Proteste tatsächlich passiert ist, entzieht sich meiner (und vermutlich auch Deiner) Kenntnis. Richtig ist, daß die Medieanabschirmung skeptisch stimmt. Das gilt allerdings auch für Meldungen über verletzte und getötete Han-Chinesen in den ersten Stunden, die dann aus den Medien verschwunden sind. Die angebrachten Zweifel gehen also in beide Richtungen.
@Armut in China. Ich bin etwas verwundert über Deine Antwort. Zum einen habe ich ja die wachsende Mittelschicht durchaus erwähnt. Du willst doch aber nicht ernsthaft bestreiten, daß es in China ein Heer von Arbeitern unter erbärmlichen Verhältnissen gibt, die "unsere schicken Nike-Schuhe nähen" und oft nicht ganz zu unrecht polemisch als "Arbeitssklaven" bezeichnet werden? Und daß wir (die Konsumenten und Produzenten in den westlichen Ländern) als Akteure und Nutznießer in dem kapitalistischen System für diese in starkem Maße mitverantwortlich sind, sollte auch kaum zu übersehen sein.
Noch verwunderlicher wird Deine Antwort auf meine Kritik an den Lebensverhältnissen in China, wenn Du mir vorher vorwirfst, daß ich nur Kritik an den USA zulasse.
@Salt Lake City. Mir ist wohl bewußt, daß es Stimmen gegen diese olympischen Winterspiele gegeben hat. Insofern hast Du Recht mit Deiner Kritik an meiner Äußerung, die zu absolut war. Interessant ist jedoch, daß diese Stimmen in den Medien kaum eine Rolle gepielt haben und die Trennung von Sport und Politik betont wurde. In den gleichen Medien übrigens, die heute jeder Forderung nach einem Boikott ein Podium geben und genüßlich die Aktionen in Paris auswalzen.
@Olympia und die Proteste. Daß die olympischen Spiele selbst zu einem großen Teil zu einer Werbeveranstaltung verkommen sind, ist wohl nichts worüber man streiten muß. Allerdings sind sie trotzdem ein Mittel des Dialogs. Nach meinem Eindruck scheinen jedenfalls die Chinesen, und hier meine ich die Bevölkerung und nicht die Regierung, zu einem großen Teil diese olympischen Spiele als "ihr Projekt" oder "Ehrensache" zu betrachten und willens zu sein, dieses Projekt mit einem gewaltigen Aufwand (die Organisatoren konnten sich vor Freiwilligen nicht retten!) zu einem gelungenen Ereignis zu machen. Bei aller Kritik an der Regierung in China sollten wir das respektieren, denn alles andere ist meines Erachtens eine Beleidigung derjenigen, die dafür schuften. Und wenn die Chinesen gute Gastgeber sind (ein EIndruck, der mir von allen Chinareisenden, die ich kenne, vermittelt wurde), dann sollen sie auch das Recht haben, sich als solche zu präsentieren.
Daß man dabei die chinesische Regierungspropaganda mitkauft, ist mir klar. Ich heiße das nicht gut, allerdings hat man das bei anderen auch getan, ohne dabei größeren Schaden zu nehmen. Noch dazu, wo die chinesische Propagande so plump ist, da sie ohnehin jeder durchschaut. Im Gegensatz zu der, die von PR-Agenturen gemacht wird...
Die Gleichsetzung mit 1936, wie oft zu lesen, ist grotesk. Interessanterweise mißt man auch hier verschiedenen Maßstäben. Bei anderen Völkern, die viele Opfer zu beklagen hatten, ist man da bedeutend sensibler. Da würde bei einem derartigen Vergleich zu Recht ein Aufschrei durch die Weltpresse gehen. Bei China wird jedoch vergessen, in wie großem Maße sie unter diesem Krieg zu leiden hatten. China hat ca. 3.500.000 Soldaten und 10.000.000 Zivilisten verloren. Das sind ungefähr ein Sechstel aller Soldaten der Achsengegner (etwa die Hälfte aller nichtsowjetischen) und etwa 35%-40% (je nach Rechnung) ALLER Zivilisten, die im zweiten Weltkrieg ums Leben gekommen sind (
Quelle).
Diese Dinge meine ich unter anderem mit der Wahrung der Maßstäbe. Wir machen es uns sehr leicht, in Bausch und Bogen zu verdammen, und einfach alles mögliche miteinander zu vermischen, solange wir nur auf den vermeintlich richtigen einschlagen.
Eines der wenigen Symbole der olympischen Spiele, denen ich noch einen Bezug zum ursprünglichen olympischen Gedanken beimesse, ist das olympische Feuer. Dieses anzugreifen halte ich für grundfalsch. Und wenn ich diejenigen (Linke, Grüne usw wie Du sie einsortierst), die das tun, kritisiere, dann kritisiere ich nicht ihre Ziele, auch wenn ich nicht alle teile. Ich kritisiere vielmehr ihre Vorgehensweise und, ich bleibe dabei, die Tatsache, daß sie sich instrumentalisieren lassen. Jetzt wo ein medienwirksamer Krach opportun ist, dürfen sie sich großer medialen Aufmerksamkeit gewiß sein. In anderen Fällen werden die (womöglich gleichen) Leute mit ähnlich guten oder teilweise sogar besseren Argumenten als idealistische Spinner abgetan oder gar (wie ironisch!) mit Argumenten wie "Dann geh doch nach China, wenn es Dir da besser gefällt" abgebürstet. Sonst sind den wohlfeilen Medien und Regierungen die Menschenrechte nämlich auch vollkommen egal, solange man es nur gut verkaufen kann. Daher mein Eindruck, daß es hier nur marginal um die Rechte oder Befindlichkeiten der tibetanischen Bevölkerung geht, sondern diese bzw. deren zweifellos meist aufrichtige Interessenvertreter sich vor einen Karren spannen lassen, der nicht ihrer ist.
Meines Erachtens kann es weder im Interesse der chinesischen Bevölkerung noch der Tibeter noch der Weltbevölkerung sein, hier auf Konfrontation zu setzen bzw. die chinesische Bevölkerung (siehe oben) zu beleidigen. Gerade in einer Zeit, wo an allen Ecken und Enden gezündelt wird, Konflikte geschürt werden, deren Hintergrund ein nakter Kampf um politische und vor allem ökonomische Macht bzw. Ressourcen ist. Hier sind beispielsweise China wie Rußland oder der Westen (vergröbert!) Schurken, die sich um den Kuchen balgen.
Für meine Begriffe muß man daher ALLE Mittel nutzen, um die Bevölkerungen ein bißchen immuner gegen Einseitigkeit und Hetze zu machen und sehr aufpassen, wem man vor das Schienbein tritt. Mit flotten und knackigen Sprüchen, die ich in diesem Zusammenhang lesen mußte (nicht von Dir), ist da niemandem gedient. Dazu ist die ganze Problemstellung zu komplex und auch zu ernst. [SARKASMUS]So gesehen könnte man den chinesischen Medien fast dankbar sein, daß sie die Chinesen vor diesem Geschehen um die Fackel weitestgehend "verschont" haben [/SARKASMUS]