Diebstahl an Demokratie

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beribert

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Dazu gibt es einen sehr interessanten und nachdenkenswerten Artikel auf Spiegel-Online.

Ich finde der Autor spricht einige sehr wichtige Aspekte in der jetzigen Politiklandschaft, in der Verflechtung von Politik mit Wirtschaft und in der Art wie Gesetze gemacht und verhandelt werden und der Art und Weise wie in unserem Land das freie Mandat der einzelnen Parlamentarier immer mehr und mehr im allgemeinen Parteienkalkül untergeht.

Dass dabei die so oft zitierte größte Errungenschaft der Menschheitsgeschichte, ein demokratisches Gemeinwesen geschaffen zu haben, immer mehr verloren geht, sollte offensichtlich sein.

Diese Entwicklung des zunehmendem Demokratiedefizits ist sehr beängstigend und eigentlich wohl kaum noch aufzuhalten. Leider scheint aber nicht mal mehr ein breites Interesse ind er Öffentlichkeit (die große Ignoranz des Nichtwissens/sich nicht Interessierens hat sich leider auch hier schon durchgesetzt) erkennbar zu sein, diese Entwicklung aufzuhalten oder etwas dagegen zu unternehmen.

Hier mal ein paar kürze Auszüge:

Diebstahl an Demokratie

Von Franz Walter

Von Turbokapitalisten verspottet, von kungelnden Politikern entwertet: Über Jahre zollten die Machthaber der Demokratie wenig Respekt. Nun rächt sich der lieblose Umgang. Das Volk will von der wichtigsten gesellschaftlichen Errungenschaft der Neuzeit nichts mehr wissen.
Man muss angesichts dieser Entwicklung nicht so weit gehen wie Richard Sennett, der von einer "weichen Spielart des Faschismus" spricht. Auch muss man nicht Noam Chomsky folgen, der eine "moderne Form des Totalitarismus" zu erkennen meint. Ebenfalls braucht man nicht uneingeschränkt die Meinung von Frithjof Bergmann teilen, der den Begriff der "Tyrannei" verwendet. Aber mit dem Liberalen Ralf Dahrendorf den "Diebstahl von Teilhaberechten" beklagen oder mit dem eher konservativen Peter Graf Kielmannsegg sich über den "schwerwiegenden Substanzverlust des demokratischen Modus des Regierens" zu sorgen, dafür allerdings gibt es schon einigen Anlass.

Überdies hat der Wettbewerbs- und Entstrukturierungsfuror der Deutungseliten nach zwei Jahrzehnten der diskursiven Hegemonie nicht nur zu wünschenswerten Deregulierungen verknöcherter Bürokratien und zu einem löblichen Anstieg selbstverantwortlicher Individualität geführt, sondern eben auch zu einer massiven Denunziation und Entwertung sozialstaatlicher Normen - wie Fairness, Ausgleich, Integration, Verknüpfung, Zusammenhalt, Solidarität - sowie zu einer Destruktion sozialstaatlicher, klassenintegrierender, Bindungen stiftender Institutionen. Die neuen, vielgelobten zivilgesellschaftlichen Selbstinitiativen greifen indes nicht nach unten, verschränken die heterogenen Gruppen nicht mehr in vertikaler Dimension, wie es der alte Sozialstaatlichkeit noch als zentrale Maxime innewohnte.
Kurzum: Seit Jahren wird die Substanz der demokratischen Räume und Umgangsweisen systematisch unterminiert, ohne dass das neue Demokratiedefizit ein bemerkenswertes Thema in der öffentlichen Debatte dieser Republik wäre. Verheerend geradezu wirkte sich die rot-grüne Regierungsära aus. Denn Rot-Grün, das mit dem Demokratisierungs- und Teilhabeversprechen begonnen hatte, verstärkte noch den grassierenden Fatalismus und nahm die Enteignung demokratischer Freiheiten hin, indem es den Determinismus vorgeblicher Eigengesetzlichkeiten in Wirtschaft und Wissenschaft bekräftigte. Die gegenwärtige Große Koalition knüpft daran nahtlos an. Und so ordnet sich das politische Establishment in Deutschland - von den Schwarzen bis zu den Halbroten, von den Gelben bis zu den Grünen - den "Zwängen", "Automatismen" und "Anpassungsnotwendigkeiten" einer zunehmend demokratielosen globalen Marktgesellschaft unter.
 
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Cashadin

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Schwierig zu sagen. Lassen die Bürger die Politik im Stich? Die Politiker die Bürger?

Es ist ja nicht so als würden sich nur die Politiker aus dem parlamentarischem Entscheidungsprozess abgrenzen. Das Volk das nun jammern soll wie wenig ihnen von Gesetzen und Absprachen erzählt wird hat sich schon vor längerer Zeit von der Politik abgegrenzt. Und dabei nicht nur von der Tagespolitik, sondern auch und vor allem - vom politischem Denken überhaupt.

Ideale = Idealismus = Gefahr.

Die grosse Gefahr ist es nicht festzustellen dass unsere "grösste Errungenschaft der Neuzeit" nicht so recht funktioniert. Die grösste Gefahr ist es überhaupt zu glauben dass es diese grösste Errungenschaft wäre. Stillstand ist Rückschritt. Und auch eine Gesellschaftsform muss sich weiterentwickeln, braucht politische Konzepte.

Natürlich ist es schlimm, und natürlich ist es falsch das Politiker das Volk nur unzureichend informieren, und palamentarische Mittel umgehen.

Aber wir müssen nun nicht so tun als würden wir uns gross gegen das belogen werden wehren.
 
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beribert

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Cashadin schrieb:
Schwierig zu sagen. Lassen die Bürger die Politik im Stich? Die Politiker die Bürger?

Es ist ja nicht so als würden sich nur die Politiker aus dem parlamentarischem Entscheidungsprozess abgrenzen. Das Volk das nun jammern soll wie wenig ihnen von Gesetzen und Absprachen erzählt wird hat sich schon vor längerer Zeit von der Politik abgegrenzt. Und dabei nicht nur von der Tagespolitik, sondern auch und vor allem - vom politischem Denken überhaupt.

Ideale = Idealismus = Gefahr.

Die grosse Gefahr ist es nicht festzustellen dass unsere "grösste Errungenschaft der Neuzeit" nicht so recht funktioniert. Die grösste Gefahr ist es überhaupt zu glauben dass es diese grösste Errungenschaft wäre. Stillstand ist Rückschritt. Und auch eine Gesellschaftsform muss sich weiterentwickeln, braucht politische Konzepte.

Natürlich ist es schlimm, und natürlich ist es falsch das Politiker das Volk nur unzureichend informieren, und palamentarische Mittel umgehen.

Aber wir müssen nun nicht so tun als würden wir uns gross gegen das belogen werden wehren.
Meiner Meinung nach lässt die Politik die Bürger im Stich und zwar deshalb weil man bei der Bildung (vor allem auch der politischen) seiner Bürger spart, statt sich darum zu kümmern, diese für den politischen Prozeß der in einer Demokratie stattfindet, zu interessieren.

Dass diese Abwendung von der Politik eines sehr großen Teils der Bevölkerung, sehr gefährlich ist, brauche ich wohl nicht noch zusätzlich zu erwähnen.

Ideale = Idealismus = Gefahr
Diese Gleichung halte ich für falsch.

Aus Idealismusstreben sind nämlich neben einigen sehr dunklen Kapiteln der Menschheitsgeschichte auch einige brillante geistige Ideen entstanden. Unter anderem die größte davon (und dabei bleibe ich), dass jeder Mensch unveräusserliche Rechte besitzt, egal welcher Rasse, Konfession, usw. er immer angehören mag und dass das einzige System bei dem diese Menschenrechte auch angemessen verteidigt werden können, das pluralistische System ist, das auf den Gleichheits-, Freiheits-, und Brüderlichkeitsidealen der frz. Revolution aufgebaut ist.

Und wie willst du denn die Demokratie anpassen, modernisieren oder verändern? Ich finde, "Demokratie" ist ein Grundmodell das man nicht modernisieren kann, weil es in seinem einfachen Design (gleiche Rechte für jeden) nicht besser zu machen ist.

Natürlich müssen wir nicht so tun als ob wir uns gegen diese Entwicklung wehren, nein, wir müssen uns gegen diese ENTWICKLUNG wirklich wehren, weil sie schädlich für das gesamte Allgemeinwesen ist.
 
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Cashadin schrieb:
Natürlich ist es schlimm, und natürlich ist es falsch das Politiker das Volk nur unzureichend informieren, und palamentarische Mittel umgehen.

Aber wir müssen nun nicht so tun als würden wir uns gross gegen das belogen werden wehren.
Tja wehren ist schön und gut, aber wie will man das bei so einer Masse an Menschen praktikabel durchführen.
Das 'Abstrafen' der großen Parteien bei Wahlen zeigt schon, dass kein Vertrauen in die Politik da ist. Das ist ja ein prozess den man über Jahre verfolgen kann. Der richtige Weg ist das sicher nicht, aber er zeigt vielleicht die Ohnmacht der Bevölkerung. Vor allem wird das nichts bringen, solange sich Politiker nicht fragen, warum z.B. so wenig zur Wahl gehen. Statt dessen wird das Ergebnis immer noch als toll verkauft. Dadurch driften Politik und Bevölkerung auch immer weiter auseinander. Auf der einen Seite die Politik, denen die Belange des 'kleinen Mannes' eher egal sind (so erscheint es zumeist), auf der anderen Seite das Volk, welches genug von den Lügen hat, aber keinen anderen Weg einschlagen will oder kann, als Randparteien zu wählen oder gar nicht zur Wahl zu gehen.

Welche Maßnahmen würden Dir denn vorschweben?
 

Cashadin

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Oh, die Gleichung halte ich ebenfalls für falsch. Ich habe sie nur reingestellt weil sie das typische Denken der Mehrzahl beschreibt.

Dadurch dass man Idealismus und das streben nach besseren Gesellschaftsformen stets gleich unterdrückt verhindert man politisches Denken.

Fragst du heute nach Demokratie, dann heisst es zumeist: Die schlechteste aller Regierungsformen, mit ausnahme aller anderen. Oder das die Demokratie unsere grösste Errungenschaft ist. Das wir dabei aber nunmal nicht in einer Demokratie leben wird leicht vergessen. Wir leben ja schliesslich in einer parlamentarischen Demokratie einer Mischform zwischen Republik und Demokratie, und das aus gutem Grund.

Das letzte mal als Demokratie in Reinform versucht wurde sind schliesslich der ein oder andere zum Henker geworden, und dummerweise noch ein paar mehr zum gehenktem. Man könnte es auch anders sagen: Genau wie Marktwirtschaft in Reinform ist auch Demokratie in Reinform nicht der Weisheit letzter Schluss, und gefährlicher als manch andere Systeme.

Deshalb haben wir ja auch beides nicht in Reinform. Und daran sieht man auch: Es gibt immer noch etwas zu modernisieren und zu verändern. In unserer parlamentarischen Demokratie zum Beispiel (um mal zum Thema zurückzukommen) die klare Gewaltentrennung zwischen Regierung, Parlament und Gericht. Denn momentan vermischen sich Parlament und Regierung ja zur grossen Parteigeklüngelei, und das Parlament wird weitgehend seiner Funktion als Volksvertretung enthoben indem man es einfach übergeht, und ausserparlamentarisch verhandelt.
 

Cashadin

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mst8576 schrieb:
Welche Maßnahmen würden Dir denn vorschweben?

Tja zunächst einmal: Wählen gehen.

Es ist immer leicht zu jammern, dass die bösen Politiker uns im Stich lassen. Es ist aber dummerweise vollkommen egal wer wen im Stich lässt. Man muss selbst das tun was man kann, und das mindeste was man tun kann ist tatsächlich wählen gehen.
 

Erwin Schlipkoweit

Possierliches Tierchen
Cashadin schrieb:
Die grosse Gefahr ist es nicht festzustellen dass unsere "grösste Errungenschaft der Neuzeit" nicht so recht funktioniert. Die grösste Gefahr ist es überhaupt zu glauben dass es diese grösste Errungenschaft wäre. Stillstand ist Rückschritt. Und auch eine Gesellschaftsform muss sich weiterentwickeln, braucht politische Konzepte. Natürlich ist es schlimm, und natürlich ist es falsch das Politiker das Volk nur unzureichend informieren, und palamentarische Mittel umgehen. Aber wir müssen nun nicht so tun als würden wir uns gross gegen das belogen werden wehren.

Henne oder Ei? Du zäumst die Diskussion nach meinem Empfinden von der vollkommen falschen Seite auf, zumal sie so zu führen im Prinzip ebenso müßig wie wenig zielorientiert daher kommt.

Der Status Quo ist wie er ist, dabei spielt es eigentlich keine Rolle wie er erreicht wurde, es sei denn, man will aus Fehlern der Vergangenheit für eine ferne Zukunft seine Lehren ziehen.

Ich bin da durchaus bei Chomskys modernem Totalitarismus, ausgeübt nicht durch eine Klasse in die man hineingeboren wird, nicht durch eine Klientel die die Macht an sich reißt, sondern die durch einen "demokratischen" Prozess legitimiert ist, der eine Spezies Mensch nach oben spült, die vorher in unzähligen parteispezifischen Gremien chemisch gereinigt, vaporisiert und auf Schiene gesetzt wurde. So werden Denkmuster vererbt, oder besser im Rahmen einer parteipolitischen Sozialisation (obwohl der Begriff in diesem Zusammenhang fast ein Treppenwitz ist) eingepflanzt.

Wählen gehen ist da nichts weiter als ein hübscher, alternierender, sonntäglicher Zeitvertreib ohne jegliche weitere Bedeutung. Veränderungen erzeugst Du in unserem System nicht durch Wählen gehen, die Möglichkeiten sind passé. (Natürlich gehe ich trotzdem wählen.)
 
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beribert

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Cashadin schrieb:
Oh, die Gleichung halte ich ebenfalls für falsch. Ich habe sie nur reingestellt weil sie das typische Denken der Mehrzahl beschreibt.

Dadurch dass man Idealismus und das streben nach besseren Gesellschaftsformen stets gleich unterdrückt verhindert man politisches Denken.
Okay, dann haben wir uns da mißverstanden.

Fragst du heute nach Demokratie, dann heisst es zumeist: Die schlechteste aller Regierungsformen, mit ausnahme aller anderen. Oder das die Demokratie unsere grösste Errungenschaft ist. Das wir dabei aber nunmal nicht in einer Demokratie leben wird leicht vergessen. Wir leben ja schliesslich in einer parlamentarischen Demokratie einer Mischform zwischen Republik und Demokratie, und das aus gutem Grund.

Das letzte mal als Demokratie in Reinform versucht wurde sind schliesslich der ein oder andere zum Henker geworden, und dummerweise noch ein paar mehr zum gehenktem. Man könnte es auch anders sagen: Genau wie Marktwirtschaft in Reinform ist auch Demokratie in Reinform nicht der Weisheit letzter Schluss, und gefährlicher als manch andere Systeme.

Deshalb haben wir ja auch beides nicht in Reinform. Und daran sieht man auch: Es gibt immer noch etwas zu modernisieren und zu verändern. In unserer parlamentarischen Demokratie zum Beispiel (um mal zum Thema zurückzukommen) die klare Gewaltentrennung zwischen Regierung, Parlament und Gericht. Denn momentan vermischen sich Parlament und Regierung ja zur grossen Parteigeklüngelei, und das Parlament wird weitgehend seiner Funktion als Volksvertretung enthoben indem man es einfach übergeht, und ausserparlamentarisch verhandelt.
Das ist sicher nicht ganz falsch, allerdings gebe ich zu bedenken, dass Spielarten der Demokratie, egal wie sie jetzt im einzelnen gestaltet sind/geregelt ist (Wahlsystem, Zusammensetzung des Parlaments, präsidial, republikanisch, parlamentarische Monarchie etc.), doch allein auf dem Prinzip, dass jeder Mensch vor dem Staat/dem Gesetz/ gleich ist und die gleichen unveräusserlichen Rechte besitzt und damit auf die Urform der Demokratie zurückgeht.
 
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beribert

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Erwin Schlipkoweit schrieb:
Henne oder Ei? Du zäumst die Diskussion nach meinem Empfinden von der vollkommen falschen Seite auf, zumal sie so zu führen im Prinzip ebenso müßig wie wenig zielorientiert daher kommt.

Der Status Quo ist wie er ist, dabei spielt es eigentlich keine Rolle wie er erreicht wurde, es sei denn, man will aus Fehlern der Vergangenheit für eine ferne Zukunft seine Lehren ziehen.
Sehe ich genauso!

Ich bin da durchaus bei Chomskys modernem Totalitarismus, ausgeübt nicht durch eine Klasse in die man hineingeboren wird, nicht durch eine Klientel die die Macht an sich reißt, sondern die durch einen "demokratischen" Prozess legitimiert ist, der eine Spezies Mensch nach oben spült, die vorher in unzähligen parteispezifischen Gremien chemisch gereinigt, vaporisiert und auf Schiene gesetzt wurde. So werden Denkmuster vererbt, oder besser im Rahmen einer parteipolitischen Sozialisation (obwohl der Begriff in diesem Zusammenhang fast ein Treppenwitz ist) eingepflanzt.
Habe Chomsky leider noch nicht gelesen, aber wenn er das so behauptet, dann hat er meiner Meinung nach absolut Recht. DieseR Ansatz ist die genaue Beschreibung wie die Demokratie in den meisten westlichen Staaten (ganz besonders in unserer bundesdeutschen "Parteiendemokratie") funktioniert.

Und was diesem "System des modernen Totalitarismus" unabdinglich behilflich ist, dieses System so eingeführt zu haben und bewahren zu können ist, das Desinteresse das in weiten Teilen der Bevölkerung am Politikbetrieb herrscht, so daß man die Aufgabe an "Experten" weitergibt, die sich natürlich wieder aus der glattgebügelten, alle Parteimühlen durchlaufen habenden Poiltikelite zusammensetzt, die wir hier haben.

Wählen gehen ist da nichts weiter als ein hübscher, alternierender, sonntäglicher Zeitvertreib ohne jegliche weitere Bedeutung. Veränderungen erzeugst Du in unserem System nicht durch Wählen gehen, die Möglichkeiten sind passé. (Natürlich gehe ich trotzdem wählen.)
Das ist natürlich sehr zynisch, ich würde das auch nicht unterschreiben wollen, aber es istnicht ganz von der Hand zu weisen, dass an diesem Punkt sicherlich so einiges an Körnchen Wahrheit hängt......
 
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Cashadin

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Erwin Schlipkoweit schrieb:
Henne oder Ei? Du zäumst die Diskussion nach meinem Empfinden von der vollkommen falschen Seite auf, zumal sie so zu führen im Prinzip ebenso müßig wie wenig zielorientiert daher kommt.

Der Status Quo ist wie er ist, dabei spielt es eigentlich keine Rolle wie er erreicht wurde, es sei denn, man will aus Fehlern der Vergangenheit für eine ferne Zukunft seine Lehren ziehen.

Ich bin da durchaus bei Chomskys modernem Totalitarismus, ausgeübt nicht durch eine Klasse in die man hineingeboren wird, nicht durch eine Klientel die die Macht an sich reißt, sondern die durch einen "demokratischen" Prozess legitimiert ist, der eine Spezies Mensch nach oben spült, die vorher in unzähligen parteispezifischen Gremien chemisch gereinigt, vaporisiert und auf Schiene gesetzt wurde. So werden Denkmuster vererbt, oder besser im Rahmen einer parteipolitischen Sozialisation (obwohl der Begriff in diesem Zusammenhang fast ein Treppenwitz ist) eingepflanzt.

Wählen gehen ist da nichts weiter als ein hübscher, alternierender, sonntäglicher Zeitvertreib ohne jegliche weitere Bedeutung. Veränderungen erzeugst Du in unserem System nicht durch Wählen gehen, die Möglichkeiten sind passé. (Natürlich gehe ich trotzdem wählen.)

Natürlich ist das nicht Zielgerichtet - nicht Zukunftsorientiert.

Man muss sich ja erstmal dieses Status Quo klarwerden. Und der bedeutet als allererstes: Man muss den Leuten klarmachen dass sie nicht in einer Demokratie leben. Und dies auch nie getan haben, schon gar nicht aber in der grössten Errungenschaft der Neuzeit. Man kann dieses Politische System nicht ändern ohne es überhaupt zu kennen, und um es zu kennen und zu verstehen muss man sich damit beschäftigen.

Totalitär ist unser System ja auch immer noch nicht - wir haben nur von unseren 3 Kräften nur noch 2 übrig, und die dritte liegt derzeit zwar krank auf dem Boden - tot ist sie noch lange nicht.

Wählen gehen ist natürlich noch kein Allheilmittel. Aber es ist die Grundlage. Ich kann mich doch nicht darüber aufregen dass meine Regierung Totalitär wird wenn ich im nächstem Moment sage: Dann macht mal schön.

Das es nur ein Anfang sein kann ist vollkommen richtig. Aber diesen ersten Schritt muss man machen, und über die Hälfte unserer Mitbürger macht ihn nicht mehr.

[OT]Henne oder Ei - was war zuerst da?

Ei natürlich. Jedes Kind weiss das es schon Eier gab bevor es Hennen gab. Die Frage stellen trotzdem immer wieder Leute. Das zeigt vor allem dass man nicht darüber nachdenkt.[/OT]
 
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beribert

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Cashadin schrieb:
Totalitär ist unser System ja auch immer noch nicht - wir haben nur von unseren 3 Kräften nur noch 2 übrig, und die dritte liegt derzeit zwar krank auf dem Boden - tot ist sie noch lange nicht.
Sagen wir 2 1/2 Kräfte und die Presse, die im System der Checks & Balances eine immer wichtigere Rolle einnimmt, weshalb die Pressefreiheit sicher eines der höchsten Güter ist, das man in einem Staat schützen sollte.

Dass sich aber auch die Presselandschaft sehr oft der Politik und der politischen anbiedert und deren Tätigkeiten eher nicht immer besonders kritisch darstellt (vor allem bestimmte Richtungen der Politik), habe ich in den letzten Jahren auch vermehrt festgestellt. Kann natürlich auch nur rein mein subjektiver Eindruck sein und gar nicht so stimmen. Eins muß man natürlich auch sagen, zu Adenauers Zeiten war die Presse in Deutschlan alles aber nicht besonders kritisch. Das hat sich erst nach der SPIEGEL-Affäre, ausgelöst vom bayerischen Flughafenbesitzer Franz-Josef S. sehr zum positiven verändert.
 

GuybrushThreepwood

Du bist des Todes!
Wählen gehen bringt genau gar nichts - schließlich beträgt der Einfluss einer einzelnen Stimme bei einer Bundestagswahl rund 0,00%. Was geringfügig mehr bringt ist folgende einfache demokratische Aktion: Mund aufmachen.
 

Erwin Schlipkoweit

Possierliches Tierchen
Cashadin schrieb:
Man muss sich ja erstmal dieses Status Quo klarwerden. Und der bedeutet als allererstes: Man muss den Leuten klarmachen dass sie nicht in einer Demokratie leben. Und dies auch nie getan haben, schon gar nicht aber in der grössten Errungenschaft der Neuzeit. Man kann dieses Politische System nicht ändern ohne es überhaupt zu kennen, und um es zu kennen und zu verstehen muss man sich damit beschäftigen.

Entschuldige bitte, wenn ich Deine Differenzierung zwischen parlamentarischer Demokratie und reiner Demokratie hier als bestenfalls spitzfindig empfinde. Du hast natürlich inhaltlich völlig recht. Und vielleicht ist auch die Erfindung der Instant-Suppe eine in der Neuzeit viel größere Errungenschaft. Aber selbst wenn morgen durch ein Wunder alle da draußen erfahren, dass sie nicht in einer reinen, sondern nur in einer parlamentarischen Demokratie leben, so ändert das im Prinzip nichts, weil es hier um ein Gefühl und nicht um die semantische Sezierung des Common Sense geht.

Totalitär ist unser System ja auch immer noch nicht - wir haben nur von unseren 3 Kräften nur noch 2 übrig, und die dritte liegt derzeit zwar krank auf dem Boden - tot ist sie noch lange nicht.

Auch hier bist Du meines Erachtens semantisch zu spitzfindig. Chomsky ist gleichermaßen zynisch wie ehrlich wenn er das so formuliert wie in dem Artikel dargestellt. Und ich Schlingel gehe mal davon aus, dass er absichtlich "modern" hinzufügt, so wie Du weiter oben auf "parlamentarisch" beharrst. Natürlich erfüllt unser System nicht die Erfordernisse um der klassischen Definition des Totalitären zu genügen, aber für die Leute ist der gefühlsmäßige Output derselbe: Der Einfluss des Individuums sublimiert an den Schnittstellen des Systems. Um es ändern zu können musst Du ein Teil von ihm werden, was gleichbedeutend damit ist, dass Du eigene Gedanken, eigene Gefühle, geistige Flexibilität und damit letztlich Individualität quasi an der Garderobe abgeben musst. Ergo ist es auf eine Meta-Ebene der gleiche Output wie bei einem totalitären System, nämlich keiner.

Wählen gehen ist natürlich noch kein Allheilmittel. Aber es ist die Grundlage. Ich kann mich doch nicht darüber aufregen dass meine Regierung Totalitär wird wenn ich im nächstem Moment sage: Dann macht mal schön.

Zunächst: Ich rege mich ja gar nicht darüber auf, ich analysiere es schlicht nüchtern. Wählen gehen steht aber dem Prozess der "Totalitärwerdung" (im Sinne Chomskys, nicht klassisch) aber nicht gegenüber, sondern ist ein Teil davon. Um es mal ganz zynisch zu formulieren: "Wählen gehen" ist derzeit kein Feature, sondern ein Bug unseres Systems, weil damit neuer Sprit in den Tank gekippt wird.
 

Cashadin

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Gemeint mit dem Aufregen warst ja auch nicht du. Sondern unsere in dieser umfrage befragte Mehrheit die die Demokratie inzwischen ungerecht findet.

Allein diese Aussage hat schon einen gewissen Humor. In einem Mehrheitsentscheidungssystem wo die Mehrheit entscheidet was gemacht wird (und das ist ja eine Demokratie) ist die Mehrheit also der Meinung sie wird ungerecht behandelt.

Und das meine ich damit das man sich erst einmal darüber klarwerden muss in was für einem Staatsystem wir leben, bevor man darüber meckern kann. Es ist mehr als nur eine semantische Frage ob man sich damit beschäftigt. Nur wenn man dies tut kann man ein Politikbewusstsein entwickeln - tut man es nicht wird man stets nur meckern, ohne eigentlich zu wissen worüber.

Und insofern halte ich da auch Chomsky nicht für hilfreich. Denn er ist zwar wirklich zynisch - ehrlich ist er aber nunmal nicht, denn auch das "modern" reisst da nicht viel raus. Die Aussage ist falsch. Und ich bezweifle auch das er sie so gemeint hat.

Das was wir momentan sehen sind Tendenzen in diese Richtung. Und aus der sicht heraus sind solche übertreibungen und überspitzungen in Ordnung. Aber eigentlich wäre es viel notwendiger den leuten mehr Wissen zu vermitteln. Und dazu zählt nunmal auch:

  • Was ist totalitär?
  • Was ist Demokratie?
  • Was ist eine Republik?
  • Aus welchen Elementen besteht unsere parlamentarische Demokratie?
  • Was ist Gewaltenteilung

Das sind Grundfragen, und jeder der sagt: Unsere Demokratie ist das beste das es gibt! hat sie nicht verstanden, oder dabei nicht drüber nachgedacht.

Und ja - es ist mehr als nur eine Begriffsfrage. Denn schliesslich sind es genau die Unterschiede zwischen Demokratie und Republik die in dem Spiegel Artikel angesprochen werden. Es geht ja bei diesen Fragen vor allem darum: Wie wird das Volk vertreten? Und in der Folge auf diese Frage muss es darum gehen: Wie will das Volk eigentlich vertreten werden?

Betrachtet man die letzten Wahlbeteiligungen und die Politikverdrossenheit allgemein muss man sagen:

Totalitär.
 
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beribert

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Cashadin schrieb:
Und ja - es ist mehr als nur eine Begriffsfrage. Denn schliesslich sind es genau die Unterschiede zwischen Demokratie und Republik die in dem Spiegel Artikel angesprochen werden. Es geht ja bei diesen Fragen vor allem darum: Wie wird das Volk vertreten? Und in der Folge auf diese Frage muss es darum gehen: Wie will das Volk eigentlich vertreten werden?

Betrachtet man die letzten Wahlbeteiligungen und die Politikverdrossenheit allgemein muss man sagen:

Totalitär.
Das stimmt nicht ganz, schließlich haben immer noch eine überwältigende Mehrheit unseres Volkes eine demokratische Partei (nach Chomsky totalitär demokratische Partei) gewählt und irgendwelche Umfragen zum Politikgeschehen lasse ich wegen der kleinen Anzahl an befragten und weiteren methodischen Problemen erst gar nicht gelten. Die wenigsten Menschen wollen in Wahrheit totalitär vertreten werden, aber sie wissen ja nicht, dass sie nicht totalitär vertreten werden wollen. Darauf gehe im im folgenden Abschnitt genauer ein:

Der Punkt ist ja nämlich auch wiederum, weiß das Volk überhaupt welche unterschiedlichen Repräsentationsformen mit denen es vertreten werden kann es überhaupt gibt, und kann man etwas wollen, bzw. nicht wollen, von dem man überhaupt nicht weiß, dass es das gibt?

Gebe zu, diese Frage ist sehr abstrakt formulierr, aber durchaus interessant. Wenn alle alles wüssten, was würden sie dann wollen? Oder heißt es, weil sie nicht viel wissen, dass sie auch nur das wollen können, über das sie etwas wissen oder kennen? Oder wollen sie das was sie kennen nicht mehr haben, weil es ihnen nicht so besonders gut gefällt, aber das was sie haben wollen, bzw. das wofür sie ihre Stimme abgeben, kennen sie überhaupt nicht (siehe Nationalsozialismus, hätten die Leute tatsächlich gewußt wofür diese Bewegung tatsächlich steht (Krieg, Mord, Gewalt), hätte sie doch kaum jemand gewählt)?

Das heißt, ist unser System nicht deshalb schon nicht demokratisch, weil die Menschen (oder die meisten davon) gar nicht wissen, welche anderen Möglichkeiten es noch gäbe?
 
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Cashadin

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Ich wünschte die überwältigende Mehrheit unseres Volkes hätte tatsächlich eine demokratische Partei gewählt. Leider ist das nicht der Fall - knapp die Hälfte unseres Volkes hat gar nicht gewählt. Und da sind mal nur die tatsächlich wahlberechtigten bemerkt. Die Wahrheit ist, dass in etwa ein Drittel unseres Volkes bei der letzten Wahl zur Urne ging um eine demokratische Partei zu wählen.

Und das nur mal auf die Bundestagswahl gemünzt - es gab auch schon Wahlen mit noch geringerer Beteiligung. Bis zu einem gewissem Grad muss man es sich also selbst anheften das unser System nicht demokratischer ist, und nicht die Mehrheit stärker vertritt. Es wählt ja schliesslich auch nur die Minderheit.

Ansonsten hast du aber natürlich recht: Der Schlüssel zu einem funktionierendem Gesellschaftssystem ist Wissen. Und zwar Wissen für möglichst alle, denn dann können auch alle selbst sehen ob sie gut vertreten werden oder nicht. Unsere aktuelle Gesellschaft lehrt solche Dinge aber eher sporadisch.

"Wir leben in einer Demokratie, und in einer Marktwirtschaft. Achja, ein paar kleine Änderungen haben wir auch noch gemacht, aber macht euch keine Sorgen."

Wir haben den Begriff Demokratie zu einem Wohlfühlbegriff gemacht. Man sagt ihn um zu sagen das man ein tolles Gesellschaftssystem hat. Republik würde halt zu sehr nach Weimar klingen, Demokratie steht für Freiheit. Und dies ist mehr als nur eine Spitzfindigkeit.

Aber indem man es zu einem Wohlfühlbegriff macht hindert man die Leute darüber nachzudenken was er eigentlich bedeutet. Man macht ihn schwammiger, und man nutzt ihn für Begriffe die damit wenig zu tun haben. Und dabei raus kommt dann, das sich keiner mehr damit befasst - und politisches Denken verdorrt.

Natürlich ist die Politik letztlich an dem Wählerschwund schuld, natürlich hat man die Bahn dafür geebnet, den Weg geteert und grosse Schilder: "Hier lang" aufgestellt.

Aber entlanggegangen sind wir trotzdem alleine, und darum halte ich diese Umfrage auch für scheinheilig. Jeder hat die Möglichkeit unsere Regierungform zu bessern.
 

Erwin Schlipkoweit

Possierliches Tierchen
Cashadin schrieb:
Und das meine ich damit das man sich erst einmal darüber klarwerden muss in was für einem Staatsystem wir leben, bevor man darüber meckern kann. Es ist mehr als nur eine semantische Frage ob man sich damit beschäftigt. Nur wenn man dies tut kann man ein Politikbewusstsein entwickeln - tut man es nicht wird man stets nur meckern, ohne eigentlich zu wissen worüber.

Sorry Chashadin, aber Du verstehst nicht worum es mir geht. Du hast ja Recht, wenn Du mehr Bildung einforderst, auch über unser politisches System. Mehr Bildung ist immer gut, mehr Sprache, mehr Bilder in den Köpfen, mehr Fähigkeit zur Erkenntnis, zur Dialektik, zur Synthese. Aber was kommt dann? Die Frage nach dem "danach" ist doch die spannende. Und auf die Gefahr hin mich zu wiederholen: Es spielt im Prinzip keine Rolle, ob jemand den Unterschied zwischen einer parlamentarischen oder einer reinen Demokratie kennt, weil das Wissen darum am systemischen Output für ihn rein gar nichts ändert. Aus dem Lemming wird ein gebildeter Lemming. That's it. Das System, ob Du es jetzt parlamentarische Demokratie nennst, reine Demokratie, oder Hans-Herbert, bleibt wie es ist. Und das nähert sich nun mal unweigerlich einer totalitären Struktur an, weil es den Einfluss derer, die es legitimieren, als hinderlichen Ballast abwirft.

Ein Beispiel: Ich hab vor der letzten Bundestagswahl beim Bier mit einem SPD-Parteivorstand zusammengesessen und mit ihm die Verschlungenheit und Verlogenheit von Parteiprogrammen diskutiert. Der Mann hat alle Rhetorik-Schulungen seiner Partei durchlaufen (die bei jeder anderen großen Partei im übrigen genau so aussehen) und erklärt mir, das sei kein Bug sondern Feature des Systems, weil der Bürger an sich zu dumm sei (natürlich etwas eloquenter, nein, behutsamer formuliert) um den komplexen Strukturen moderner Gesellschaftspolitik folgen zu können. Politik ließe sich nicht in 6 Hauptsätze pressen, daher müsse man homöophatische Dosen der Wahrheit verabreichen. Und diese Hybris ist systemimmanent. Wenn ich nun schlauer werde, weil ich zwischen parlamentarischer und reiner Demokratie zu unterscheiden weiß, dann bleibt der Onkel von der SPD aber trotzdem auf seinem Ross sitzen. Und selbst wenn ihn die plötzliche Erkenntnis ereilt, dass man Politik vielleicht einfacher gestalten sollte oder sich schlicht mehr Zeit nehmen sollte sie dem Bürger zu erklären, so wird diese Info spätestens bei der nächsten Präsidiumssitzung der Partei aus dem Arbeitsspeicher gelöscht....

Was Chomsky meint ist das Kondensat aus Beispielen wie oben. Und dann wird aus seiner zynischen Note eine schlichte, elegante und relativ klare Wahrheit...

Und in der Folge auf diese Frage muss es darum gehen: Wie will das Volk eigentlich vertreten werden? Betrachtet man die letzten Wahlbeteiligungen und die Politikverdrossenheit allgemein muss man sagen:
Totalitär.

Und genau da sage ich: Du hast die Wahl eben nicht.
 

Cashadin

Moderator
Teammitglied
Der Punkt ist der:

Mehr Bildung über Gesellschaftssysteme -> Mehr Politikinteresse -> Mehr Leute die sich an der Politik beteiligen. -> Bessere Politik.

Das selbe geht auch mit Wahlen im übrigem:

Mehr Wähler -> Mehr Wählerpotential das man auf seine Seite ziehen kann -> Mehr Demokratie.

Wahlverdrossenheit -> Sprüche werden wichtiger als Inhalte -> schlechtere Politik.

Es ist ebend nicht so dass man nichts tun kann. Ich kenne genügend Leute die sich tatsächlich in der Politik engagieren, und die in ihrem Bereich auch etwas geschafft haben.

Natürlich ist es nur ein Anfang den Leuten die Grundlagen beizubringen. Aber - das Wort nennt sich Anfang weil dies der erste Schritt sein muss. Die grosse Frage ist doch: Wie kann man unser politisches System reformieren? Und aus meiner Sicht kann die Antwort darauf nur heissen - indem man es versucht, indem man den ersten Schritt macht.

Um bei deinem Beispiel zu bleiben. Natürlich bin ich nur ein gebildeter Lemming wenn ich mich als Lemming bilde. Und noch immer lauf ich auf den Abgrund zu.

Aber die Chance dass ich vorher stehen bleibe ist weitaus grösser. Sogar die dass ich vielleicht eine andere Richtung einschlage. Wir können ja nicht sagen: Das Wissen über Grundbegriffe der Demokratie genügt nicht - also sind diese unwichtig. Sondern wir sollten sagen: Gerade weil sie nicht genügen sind sie wichtig - denn anders kommt man nicht zu mehr Wissen als das man zumindestens die Grundlagen begreift.
 

Erwin Schlipkoweit

Possierliches Tierchen
Cashadin schrieb:
Mehr Bildung über Gesellschaftssysteme -> Mehr Politikinteresse -> Mehr Leute die sich an der Politik beteiligen. -> Bessere Politik.

Hübsche Kausalkette, nach meiner persönlichen Erfahrung mit politischen Parteien leider nicht mehr als das. Der systemimmanente Gleischaltungsfilter, den sich alle Parteien im Laufe der Zeit zulegen, um lästige programmatische Diskussion auf ein geringes, im Zuge von Parteitagen bewältigbares Niveau herunterzuschrauben, sorgt dafür, dass Du entweder irgendwann verzweifelt die Flinte ins sprichwörtliche Korn wirfst oder aber karierte Hemden und billige Polyesteranzüge kaufst, die Haare mit Seitenscheitel frisierst und zum halbwegs braven Parteisoldaten mit guten Aufstiegschancen mutierst. Dann noch ein paar Jahre lang den Kopf in ausreichend viele Rosetten gesteckt und schwuppdiwupp findest Du dich auf irgendeiner Liste weiter oben wieder, die Dir den Zugriff auf die parlamentarischen Fleischtöpfe ermöglicht. Das ist für viele einfach zu verlockend....

Es ist ebend nicht so dass man nichts tun kann. Ich kenne genügend Leute die sich tatsächlich in der Politik engagieren, und die in ihrem Bereich auch etwas geschafft haben.

Kenn ich auch. Nur die Zahl der guten, die irgendwann ins Grass gebissen haben oder beißen mussten, ist bei weitem größer. Ich will Dir Deinen Optimismus nicht nehmen, aber unser System ist leider arg fehlerhaft und bedient zu meinem (und voraussichtlich auch Deinem) Unwillen gerade die charakterlichen Schwächen die ich am widerlichsten finde: unreflektiertes Geplappere vorgekauter Westentaschenweisheiten, eine gewisse Flexibilität bei persönlichen Grundsätzen und Illoyalität.

Natürlich ist es nur ein Anfang den Leuten die Grundlagen beizubringen. Aber - das Wort nennt sich Anfang weil dies der erste Schritt sein muss. Die grosse Frage ist doch: Wie kann man unser politisches System reformieren? Und aus meiner Sicht kann die Antwort darauf nur heissen - indem man es versucht, indem man den ersten Schritt macht.

Du bist Dir aber schon im klaren darüber, dass Du hier wie der Fähnlein Fieselschweif klingst? :zwinker3:

Ohne jegliche Arroganz: Du bist relativ jung, oder?

Wir können ja nicht sagen: Das Wissen über Grundbegriffe der Demokratie genügt nicht - also sind diese unwichtig.

Das sage ich ja auch nicht. Ich sage lediglich, dass es dich nicht mehr weiterbringt. In dem Maße, wie unsere Gesellschaft politisches Desinteresse entwickelt hat (und da meine ich nicht nur unser Land) nahm die Eigendynamik unserer herrschenden Klasse - und das sind unsere parteipolitischen Strukturen mittlerweile zweifelsfrei - zu und mit ihre auch die Mechanismen um sich selbst vor dem Rest des Schützenfests abzuschotten. Du glaubst, dass dieser Prozess durch Bildung und Aktivierung der Bevölkerung reversibel ist. Das mag theoretisch unter Umständen sogar möglich sein. Praktisch halte ich es aber für eine Utopie. Da bedarf es schon mehr als guten Willen und einen Exkurs in Gesellschaftskunde. Dafür sind die Parteien auch viel zu verliebt in sich selbst und ihre Macht, als dass sie sich von schlichten Argumenten und freiem Willen bezwingen lassen würden...

Wie auch immer: Ich danke für das anregende Gespräch! :hand:
 
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beribert

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Erwin Schlipkoweit schrieb:
Das sage ich ja auch nicht. Ich sage lediglich, dass es dich nicht mehr weiterbringt. In dem Maße, wie unsere Gesellschaft politisches Desinteresse entwickelt hat (und da meine ich nicht nur unser Land) nahm die Eigendynamik unserer herrschenden Klasse - und das sind unsere parteipolitischen Strukturen mittlerweile zweifelsfrei - zu und mit ihre auch die Mechanismen um sich selbst vor dem Rest des Schützenfests abzuschotten. Du glaubst, dass dieser Prozess durch Bildung und Aktivierung der Bevölkerung reversibel ist. Das mag theoretisch unter Umständen sogar möglich sein. Praktisch halte ich es aber für eine Utopie. Da bedarf es schon mehr als guten Willen und einen Exkurs in Gesellschaftskunde. Dafür sind die Parteien auch viel zu verliebt in sich selbst und ihre Macht, als dass sie sich von schlichten Argumenten und freiem Willen bezwingen lassen würden...
Die 68er Generation hat das mal probiert, und man hat doch kurzfristig einiges ("Mehr Demokratie wagen") bewegen können. Leider nicht langfristig, denn viel von den Errungenschaften der 68er ist nicht übrig geblieben. Höchstens noch die Grünen, aber die sind leider im gleichen Fahrwasser gelandet wie alle anderen Parteien auch.

Aber keine Angst, so etwas wird sich sowieso nicht wiederholen, wenn ich mir die heutige Studentenwelt so betrachte, besteht die absolute Mehrzahl aus glattgebügelten karrierebewussten Scheitelvisagen von denen man nicht erwarten kann, über mehr nachzudenken, als wie hoch später mal ihr Einstiegsgehalt sein wird. Und dann gibt es auch noch ein paar "Spinner" die meinen in den Unigremien durch viel politische Arbeit etwas bewegen zu können, nur um später einen Platz in der Parteileiter (meistens sind sie ja bei den Jusos) der SPD erklimmen zu können. Die halten gerne revolutionäre Sonntagsreden bei denen keinerlei Substanz dahinter zu erkennen ist. Nach dem Studium können sie dann bei der Partei richtig einsteigen und halten dann wieder Sonntagsreden, nur dieses mal aber ohne Revolution. :floet:

Das ist alles nicht meine Welt.
 
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