Einfallslose Filmindustrie

Tolotos

HURSCH
Blade Runner 2049

Der Film hat definitiv Schwächen. Dazu zählt vor allem Jared Leto, dessen Figur viel zu plakativ und überzeichnet ihre Ziele darlegt und für mich nicht wie eine reale Person sondern eher wie ein Plot Device wirkt
(gerade seine erste Szene, in der in einem Monolog (oder soll er sich an Love oder die neu geborene Rachel wenden?) seine Ziele für den Zuschauer darlegt, wirkt besonders künstlich)
Außerdem gibt es auch daneben noch mindestens eine nicht ganz nötige Szene
(als K von den Schrottplatzbewohnern runtergeholt wird)
, und die Musik kommt nicht an die des Originals ran. Außerdem ist der verspielte Umgang mit der Frage, ob Deckard jetzt ein Replikant ist mir etwas zu übertrieben (reiht sich damit aber in die restlichen Dialoge der entsprechenden Figur ein).

Aber sonst? Ein herausragender Film. Für mich ein Meisterwerk mit den kleinen Schwächen von oben und sogar etwas besser als sein Vorgänger. Letzteres liegt aber an meiner Prioritätensetzung bei Filmen: Inhalt ist mir immer wichtiger als Form. Denn obwohl Blade Runner 2049 inszenatorisch sehr gut gelungen ist (man emanzipiert sich klar von der Zukunftsvision aus Blade Runner, die noch düster und einsam war und setzt jetzt etwas mehr auf Reizüberflutung, wobei mans düster bleibt; man sieht aber auch die Anlehnungen an den Vorgänger), kommt er in dieser Hinsicht für mich nicht ganz an seinen wegweisenden ersten Teil heran. Vielleicht liegt das auch an der oben schon erwähnten Musik, die die Stimmung nicht ganz so gut unterstreichen kann.Dafür aber ist der Film handlungstechnisch und was die philosophischen Ansätze angeht, dem Original meiner Ansicht nach um einiges voraus. Die Handlung des Originals war simpel, bestach aber trotzdem dadurch, dass sie ihre philosophischen bzw. vor allem ethischen Fragen ganz beiläufig einfließen ließ. Genau das setzt Blade Runner 2049 phantastisch fort.
Ich kann daher auch absolut nicht verstehen, wie jemand in einer anderen Kritik die Liebesgeschichte als unnötig abstempeln kann - von den Ideen her, die man als Zuschauer dabei verarbeitet war das für mich der beste Teil des Films:
zunächst denkst man sich, wenn K heimkommt vielleicht so etwas wie "ahja, man hört nur die Stimme, es ist "nur" ein Programm, ein Smart Home, eine "künstliche" Freundin". Diese Meinung wird unterstützt vom Maßschneidern seiner Freundin durch K (Stichwort Klamotten), davon, dass sie auch in einem emotionalen Moment durch einen eingehenden Anruf gestoppt wird, dass sie später zusammen mit dem Strom holpert und stockt" usw. Möglicherweise macht man sich aber dann schon weitergehende Gedanken - wenn wir K und andere Replikanten als Personen akzeptieren, warum dann nicht auch ein sehr, sehr fortgeschrittenes Computerprogramm? Man denkt unweigerlich an "Her" oder vielleicht auch "Ex Machina" und fragt sich, wie man Joi (so heißt K's Freundin (oder "Freundin"?)) einordnen sollte auf der Skala zwischen Maschinen und moralischen Agenten. Der Gedanke einer echten Person wird vom Film deutlich hervorgehoben, wenn Joi zunächst auch Sex bieten möchte, was aber durchaus noch ein gelungenes Programm für K sein kann, dann aber sogar sagt "ihr macht es nichts aus,nein sie will gar, dass K sie nur noch auf einem Stick (ohne Backup) speichern muss - dann sie ist sterblich... ganz wie ein echtes Mädchen".Natürlich wird ihr "Tod" damit angedeutet und obwohl vorhersehbar hat diese Szene durchaus ihre Wirkung. Ein schlechterer Film würde den Zuschauer jetzt mit diesem Eindruck entlassen - Joi ist wirklich gestorben, sie war K's Freundin, auch wenn sie virtuell war. Aber Blade Runner 2049 setzt die Szene nach, in der K die Werbung für das Programm Joi sieht und bemerkt, dass dieses auffallend ähnlich zu seiner Freundinspricht- in was war er da eigentlich verliebt? Für ihn (!) hatte sie definitiv eine Persönlichkeit, aber in Wirklichkeit? Am Ende ist man nicht schlauer, der Film hat in dieser schwierigen Frage zurecht keine Position bezogen und man kann als Zuschauer wunderbar nachgrübeln, wie man zum Thema am Ende steht. Ich fand diesen Handlungsstrang und wie damit umgegangen wurde absolut fantastisch!
Auch die zentrale Wendung hat mir sehr gut gefallen. Sicher war vorhersehbar, dass
K nicht SEINE Erinnerung findet, als er merkt, dass eine wahre Erinnerung hinter der Holzpferdszene steckt (allein schon weil viel zu unglaubwürdig wäre, dass gerade er seine eigene Vergangenheit aufdeckt und ich dem Film in der Hinsicht mehr zugetraut habe). Aber trotzdem dachte ich zu diesem Zeitpunkt "Überzeugt bin ich dann aber nicht - mir fällt keiin Grund ein, warum er eine fremde Erinnerung haben sollte, denich glaube." Tja, Villeneuve oder seinem Drehbuch-Schreiber ist zum Glück ein sehr überzeugender Grund eingefallen: Dass man einigen (vielen?) Modellen der neuen Replikanten-Serie diese gefälschte Erinnerung einbaut, damit sie einen Anreiz haben trotz ihrer strikten Programmierung die Seite zu wechseln, ist plausibel, zeichnet die Seiten deutlich grauer als zuvor (denn moralisch ist es nicht gerade toll seinen eigenen Leuten gefälschte Erinnerungen einzuflößen. Man beachte nur, wie zerstört K am Ende vor dem Update-Center liegt) UND wurde vorher sinnvoll angedeutet (den Tränenausbrauch der echten Tochter habe ich völlig ausgeblendet beim Grübeln über die Bedeutung, aber so macht alles Sinn!). Das so auch eine Fortsetzung angedeutet wird, stört mich absolut nicht, wenn der zugehörige Stoff so gut ist). "]
Viele kleinere Szenen, die mich beim Schauen noch gestört haben, werden übrigens im Laufe des Films erklärt und zeigen wie durchdacht der Film eigentlich ist. Nur ein Beispiel:
Im ersten Moment fragte ich mich, als K seiner Vorgesetzten erzählt, er habe das fraglische Baby erledigt, warum zur Hölle sie ihm jetzt einfach so glaubt. Aber natürlich, wenn Replikanten der neuen Serie ihrer Meinung nach nicht lügen können (oder vielleicht ihrem Vorgesetzten über nicht lügen könnnen; weil sei ja Befehle strikt befolgen müssen? alles andere wäre arg unpraktisch), wie Love später erklärt, dann macht auch das Sinn. Da sie keinen bürokratischen Fußabdruck zum Thema hinterlassen will und K noch einen Gefallen gewährt, macht auch Sinn,dass sie keine weiteren Belege verlangt.
Auch das Ende hat mir sehr gut gefallen. Wobei meiner Meinung nach die eigentlich mächtige Szene die vorletzte ist. Vielleicht wollte Villeneuve die Zuschauer etwas hoffnungsvoller entlassen, aber trotzdem hätte ich es dem Film angemesssener gefunden, mit der vorletzten Einstellung zu enden. Alleine schon aus Respekt vor seinem Protagonisten.

Wegen der oben erwähnten Schwächen, die leider nicht ganz klein sind "nur" eine 8,5/10 (was für mich sehr viel ist - dem Original habe ich 8/10 gegeben und der einzige andere Film, der dieses Jahr auf eine 8,5 kam, war der herausragende Manchester by the Sea).
 
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