drunkenbruno
Keyser Söze
Ein für meine Begriffe leider sehr richtige Einschätzung der momentanen Lage hier in MG von SPON:
BUNDESLIGA-KOMMENTAR
Beneidenswerte Mittelklasse
Von Philipp Köster
Fußballfans lieben den Nervenkitzel. Immer wenn ihre Clubs oben mitspielen oder im Tabellenkeller ums Überleben zittern, werden Emotionen geweckt und Kräfte freigesetzt. Für Vereine im Niemandsland der Tabelle gilt das nicht. Dabei könnten die Anhänger dort sorgenfrei den Bundesliga-Alltag genießen.
"Anders auftreten"
Die Mienen beider Trainer in der Pressekonferenz sprachen Bände. Torlos hatten sich der 1. FC Kaiserslautern und der VfL Wolfsburg gerade auf dem Betzenberg getrennt. Ein öder Kick, der keinem der beiden Teams so recht weiterhilft. "Wenn wir ehrlich sind, dann war das ein ganz schlechtes Spiel", kommentierte Wolfsburgs Erik Gerets und Lauterns Coach Kurt Jara maulte gleich hinterher: "Wenn man aus den eigenen Reihen hört, dass man in den Uefa-Cup will, dann muss man auch anders auftreten."
Es sprachen die Trainer zweier Vereine, die sich noch immer schöne Hoffnungen auf den Einzug ins internationale Geschäft machen. Der VfL Wolfsburg, weil er sich schon aus purer Gewohnheit jedes Jahr Hoffnungen auf den Uefa-Cup macht. Und der 1. FC Kaiserslautern, weil der Club im Laufe der Saison schon einen weiten Weg aus dem Tabellenkeller zurückgelegt hat und den Wanderstock noch nicht weglegen möchte.
Mehr als ein schmuckes Stadion
Dabei könnten es sich die beiden Clubs eigentlich gemütlich machen und die Saison gemächlich in der Sitzecke ausklingen lassen. Sind sie doch Vertreter einer Klasse, die in der Bundesliga bislang nicht so recht wahrgenommen worden ist, weil das Fußballvolk stets nur dorthin starrt, wo Schweiß und Tränen fließen, wo Titel vergeben werden oder kleine Vereine im Abstiegskampf ums Überleben strampeln.
Philipp Köster ist Redaktionsleiter des Magazins für Fußball-Kultur "11 Freunde" aus Berlin. Das journalistische Handwerk erlernte der 32-Jährige bei der Deutschen Universitätszeitung und vor allem beim Bielefelder Fanzine "Um halb vier war die Welt noch in Ordnung". Ein Traum ist für Köster schon jetzt in Erfüllung gegangen: Bei der Bielefelder Lokalzeitung "Neue Westfälische" schreibt er derzeit die Kolumne: "Meine Arminia".
Doch mittendrin, im tabellarischen Niemandsland, hockt weithin unbeachtet die sorglose Mittelklasse der Bundesliga. Kaiserslautern, Wolfsburg, Borussia Mönchengladbach und auch Hannover 96 gehören dazu. Die Clubs eint nicht nur ein einigermaßen ausgeglichenes Punktekonto nach dem 23. Spieltag, sondern auch die Perspektive über die Saison hinaus, die hier wie dort lediglich eine mittelmäßige ist.
Zwar verfügen die Clubs über genügend finanzielle Potenz, um sich bei maßvollem Wirtschaften auf Dauer vom Tabellenkeller fernzuhalten. Um für mehr als eine Halbserie zu den großen Clubs aufzuschließen und mitzuspielen um Ruhm und Ehre, reichen Geld und Strukturen hingegen bei weitem nicht aus. Denn um ganz oben mitzuspielen, bedarf es viel mehr als nur eines schmucken Stadions. Große Erfolge sind heute vornehmlich dem Zusammenspiel aus effektivem Management, dem langfristigen Aufbau einer Mannschaft, optimaler Talentsichtung und einem belastbaren wirtschaftlichen Fundament zu verdanken. Die Clubs der Bundesliga-Mittelklasse sind davon noch weit entfernt.
Erinnerungen an früher verblassen
So etwas hört man natürlich nicht gern. Schon gar nicht in Wolfsburg, wo die Champions League und die Etablierung in der nationalen Spitze als Pflichtprogramm der nächsten Jahre gilt. Warum man sich allerdings gerade in Wolfsburg so betont karrieristisch gibt, wird dem Beobachter auch in der laufenden Saison nicht so recht klar. Denn schließlich wurde schon viel erreicht. Längst gilt der VfL als ständiges Mitglied der Liga, argentinische Kicker lachen nicht mehr hämisch, wenn man ihnen einen Wechsel nach Wolfsburg offeriert, das neue Stadion lässt langsam die Erinnerung an die zugige Bezirkssportanlage von früher verblassen und auch die Fanszene besteht längst nicht mehr aus fünf Fanclubs und einem bärtigen Trompeter, sondern füllt immerhin einen ganzen Block. Doch anstatt das schöne Bundesliga-Leben zu genießen, vermiest sich der Club mit dem Blick auf nicht eingehaltene Planziele den Alltag.
Ganz ähnlich verhält es sich in den anderen Städten. Zwar kommt hier der Ehrgeiz nicht so plakativ daher wie in Wolfsburg, die hohen Erwartungen schwingen jedoch stets mit. Ob in Hannover oder Mönchengladbach, wo jeweils die Einweihung des neuen Stadions das Selbstbewusstsein der Anhänger beförderte, nun aber endlich für den Kampf mit den ganz großen Vereinen gerüstet zu sein. Oder in Kaiserslautern, wo sich nicht nur die Fans, sondern auch viele Honoratioren des Vereins ganz grundsätzlich für den Bayern-Jäger schlechthin halten. Natürlich ist der 1. FC Kaiserslautern das nicht und wird es auch nicht mehr, das weiß Trainer Kurt Jara und das weiß auch Präsident Rene Jäggi. Nur allzu laut sagen dürfen sie eben auch nicht, dass die Zukunft des FCK die Mittelklasse ist und dass der Club im Prinzip froh sein kann, nicht jedes Jahr aufs Neue um den Klassenverbleib zittern zu müssen.
Sehnsucht nach Nervenkitzel
Denn bei den Anhängern hier wie dort wird nichts mehr verachtet, als im bedeutungslosen Niemandsland herumzudümpeln. Der Fan liebt existentielle Herausforderungen und den Nervenkitzel der Entscheidung. Er hasst die Langeweile der achten und neunten Plätze. Und weil sich niemand traut, für die Wahrheit von den Anhängern abgestraft zu werden, will man hier wie dort stets und ständig ins internationale Geschäft.
Am Ende der Saison wird das Mittelfeld der Tabelle dem Stand von heute sehr ähneln. Der VfL Wolfsburg, Hannover, Kaiserslautern und Mönchengladbach werden einträchtig nebeneinander hocken. Viel Luft nach oben, viel Luft nach unten. So richtig zufrieden wird keiner der Clubs sein. Wie beneidenswert.