KREFELD
Es bröckelt im Herzen des Mythos
Zur allerletzten Führung durch den Bökelberg, der in wenigen Wochen gesprengt wird, machten sich 56 Fans der Borussia auf. Ein Erlebnisbericht.
Mönchengladbach. Der Mythos stinkt. Ziemlich streng sogar. Dennoch strahlt er so viel Respekt einflößende Erhabenheit aus, dass man kaum wagt, in sein Innerstes vorzudringen und ihm seine letzten Geheimnisse zu entlocken. Selbst jetzt, da er wie ein waidwundes Tier im Schnee zu versinken droht. So ein Zinnober um einen alten Betonklotz, mögen manche Realisten nun sagen. Für zehntausende Fans, verstreut über den Erdball, ist dieses Stadion, der Bökelberg, ein Kultobjekt. Geburtsstätte des Mythos Borussia.
Am Wochenende startete die letzte so genannte "Mythos-Tour" die Elfte insgesamt, bevor in wenigen Wochen der Bökelberg gesprengt wird. Vor 18 Monaten startete die Marketinggesellschaft der Stadt, die MGMG, die erste geführte Stadttour zu der Geburtstätte der Borussia in Eicken, führte durchs Bökelbergstadion und dann durch den Borussia-Park. Rund 500 Borussenfans haben seitdem an den Touren teilgenommen. Es hätten auch mehr sein können, allein die Kapazitäten reichten nicht aus.
Jetzt jedoch, nachdem ein Mitarbeiter des städtischen Bauamtes den letzten 56 Mythos-Tour-Teilnehmern das schwere Schloss am ehemaligen Eingang Schürenweg geöffnet hatte, stehen sie mitten im eingeschneiten Stadion, noch einmal geht es auf den heiligen Rasen, der eher wie ein verwaister Acker wirkt. Knöcheltief sinken die Schuhe in den morastigen Grund. Dann durch den sagenumwobenen Spielertunnel, durch den schon Günter Netzer das Spielfeld betrat. Dass der Gang jetzt eher wie eine labile Wellblechkonstruktion wirkt, merken die Teilnehmer nicht. "Zu ergreifend ist der Moment", findet Sabrina Mohren.
Jetzt steht die Gruppe im ehemaligen Presseraum der Borussia. Der Weg dorthin führte durch eine eingetretene Scheibe. Daneben liegt, halb im Dunkel, der Treppenaufgang zu den Duschund Massagebereichen. Vorsichtig, ja ehrfürchtig schieben sich einige Teilnehmer die Treppe hoch. Dann noch durch die eingetretene Tür im ersten Stock und der Bereich, der einst das Allerheiligste der Borussia war, liegt offen vor ihnen. "Da ist unglaublich", verschlägt es Johannes Pillen die Sprache, der nicht glauben kann, dass er tatsächlich das Entmüdungsbecken sieht, indem Martin Dahlin sich geduscht hat, Effe die Haare gegelt und Uwe Kamps in einer art altertümlicher Badewanne das malade Knie hat massieren lassen.
Apropos Uwe Kamps. Sein Geist weht irgendwie noch durch dieses kurz vor dem Abriss stehende Gemäuer, denn überall auf dem Boden liegen Briefe an ihn. Briefe seiner Fans, teils noch mit frankiertem Rückumschlag. Auch Effe könnte sich, sollte er noch mal in der Nähe sein, Stapelweise Fanpost vom Boden zusammenklauben. "Ich verstehe das nicht", schüttelt der siebenjährige Timo Blume den Kopf. "So was macht man doch nicht. Das sieht ja aus, als wären die hier aus dem Gebäude geflohen". In der zweiten Etage ein ähnliches Bild. Ein Fan, um seinem Hals einen Borussen-Schal, öffnet einen der Schränke. "das gibt`s doch nicht", ruft er und zeigt ein unangebrochenes und nicht abgelaufenes Senfglas. "Da sind noch viel mehr davon", wundert er sich. Jetzt merkt auch der Tourführer der MGMG, dass sich Mitglieder seiner Gruppe selbstständig gemacht haben und ruft sie aus dem Gebäude: "Lebensgefahr". Mythosstimmung herrscht keine mehr in dem Reisebus, der sich nun auf den Weg in den neuen Borussia-Park macht.
29.11.05
Von Tim In der Smitten
Krefeld