Das Vakuum im Management des VfB
"Noch vor Weihnachten ziehen die Häuptlinge beim VfB Stuttgart selbstkritisch Bilanz. Eine Frage dürfte dabei wieder für Zündstoff sorgen: Verfügt der Fußball-Bundesligist über Management-Instrumente, die seinen Ansprüchen gerecht werden?
Fast scheint es, als sei das Problem in Beton gegossen. Wer immer in den vergangenen Jahren in die großen Schuhe des VfB-Trainers schlüpfte - mit wirksamer Unterstützung aus dem Leistungsumfeld des Vereins konnte er nur sehr bedingt rechnen. Das Vakuum an sportlicher Kompetenz, Erfahrung und Überzeugungskraft an der Vereinsspitze schafft immer wieder Probleme.
Auch Giovanni Trapattoni fehlt bisweilen die Hintermannschaft, die jene Felder bearbeitet, die ein Coach seines Typus unbestellt lässt. Co-Trainer Andy Brehme etwa fungiert im Trainingsbetrieb eher als gehobener Mantel-Hinhalter für Trap denn als sinnvolles Korrekturprogramm seines Chefs. Im sensiblen Gefüge zwischen Mannschaft und Trainer spielt er nahezu keine Rolle. Auch Matthias Sammer litt unter dem Mangel an einem sportlichen Widerpart. Am liebsten hätte er Stefan Reuter im Alleingang verpflichtet.
"Die Bomb´ geht net unter meinem A... hoch", knurrte einst Geschäftsführer Ulrich Schäfer, als das Unheil um den wilden Winni seinen Lauf nahm. Ralf Rangnick kam just zum VfB, als der Verein praktisch führungslos war. Gerhard Mayer-Vorfelder, ohnedies kein Freund des Fußball-Intellektuellen, war politisch auf Abschiedstour, hatte die Ehrenamtsaffäre am Hals und den Aufsichtsrat im Genick. Rangnick verhedderte sich im Gestrüpp der Zuständigkeiten, kümmerte sich notgedrungen um alles und verlor den Kern seiner Arbeit phasenweise aus dem Blick: das Wohl und Wehe der Mannschaft. Weder Öffentlichkeitschef Hansi Müller noch Teammanager Karlheinz Förster konnten dem Coach helfen. Beide hatten nur eines im Blick: keinen Fehler zu machen, solange MV noch im Amt ist. Der hatte längst kundgetan, was er von der Lösung hielt, die ihm der Aufsichtsrat aufgezwungen hatte. "Nur weil einer mal einen Ball über eine Mauer zirkeln konnte, ist er noch lange kein guter Manager."
MV-Nachfolger Manfred Haas trennte sich von beiden und engagierte als Manager Rolf Rüssmann. "Wir brauchen jemand, der das Ohr an der Mannschaft hat und der das Geschäft aus dem Effeff kennt", sagte der Mann, der sich selbst ganz gut einschätzte: "Vom Fußballgeschäft weiß ich zu wenig."
Für Rangnick kam Rüssmann zu spät. Und Trainer Felix Magath erkannte erst im Nachhinein, wie wichtig die Doppelpässe mit dem Ex-Schalker waren. "Die Hilfe von Rolf Rüssmann war entscheidend", sagt der Bayern-Coach heute. Der lange Blonde verstand sich als sportliches Korrektiv des Trainers. Und manchmal, wenn Magath "mal wieder quer im Stall stand" (Rüssmann), flogen die Türen. Letztlich aber diente nur alles einem Ziel: dem Erfolg der Mannschaft.
"Der Briem, der kann das doch nicht", knarzte Magath, als er hörte, dass seine ehemaliger Scout zum VfB-Sportdirektor befördert worden war. Und damit zog er keineswegs dessen Fähigkeiten als Sportfachmann in Zweifel, sondern Briems Rüstzeug, um sich gegenüber Mannschaft, Trainer und Präsidium überzeugend zu positionieren. Manager müssen in einem Kollektiv hypersensibler Egoisten gewisse gruppendynamische Verhaltensmuster vorausahnen können, um größeres Unheil zu verhindern. Sie sollten rhetorisch über ein gewisses Talent verfügen, um Dinge intern und extern überzeugend darlegen zu können.
Im Streit zwischen Giovanni Trapattoni und Torhüter Timo Hildebrand machte Briem zu Beginn der Saison eine denkbar schlechte Figur. Am Ende musste Präsident Erwin Staudt eingreifen. Briems Fehler: Im Wissen um die Schwäche seiner eigenen Position wollte er es allen recht machen. Am Ende war er bei Trapattoni unten durch und ein Bonsai in den Augen des Torhüters. Der Mister soll Manager Briem kurz darauf in einer Mannschaftssitzung übel zurechtgestutzt haben. Man muss kein Psychologe sein, um sich auszumalen, was dies für Briems Position gegenüber den Spielern bedeutet. "Wer selbst auf hohem Niveau gespielt hat", sagt Bayern-Manager Uli Hoeneß, "tut sich in dieser Rolle eben leichter."
Trainer und Spieler brauchen einen Manager, der auf Augenhöhe verlässlich, kompetent und glasklar mit ihnen kommuniziert. Ganz gleich, ob es sich dabei um kleine Kümmernisse im Trainingsalltag handelt oder um Verhandlungen über einen neuen Vertrag. Die VfB-Geschichte selbst liefert die besten Beispiele - positiv wie negativ. 1992 wurden die Roten deutscher Meister - mit Manager Dieter Hoeneß und Trainer Daum. 2003 gelang der Sprung in die Champions League - mit Magath und Rüssmann.
VfB-Präsident Erwin Staudt hat das Problem erkannt. Nicht ohne Grund muss er immer wieder vor die Mannschaft oder vor die Medien treten, um Dinge zu erläutern, die gar nicht seine primäre Verantwortung sind. Die Frage ist nur: Zieht Staudt noch in der Winterpause die Lehren aus dieser Erkenntnis? Kann er Aufsichtsratschef Dieter Hundt überzeugen, dass ein Fußballclub nach anderen Mechanismen lebt als ein Industriebetrieb? Namen für neue Manager werden bereits gehandelt: Marco Bode, Karl-Heinz Riedle und Asgeir Sigurvinsson."
Stutttgarter Nachrichten 06. Dezember 2005