Ihm droht die Selecao
Er sei zu weich für die Liga, zu brav. So vieler Kritiker Stimmen. Doch Pedro Geromel (23) beweist in Köln Klasse.
Im Sommer 2003 plante Ricardo Lopes den entscheidenden Schritt Richtung Profifußball. Aufgrund einer Anzeige des portugiesischen Zweitligisten CD Chaves, der Spieler suchte, vereinbarte der Brasilianer ein Probetraining. Lopes erzählte seinem Schulfreund Pedro Geromel davon, organisierte auch ihm eine Möglichkeit vorzuspielen. Der Beginn einer Karriere. Geromel, damals A-Jugendlicher beim in Sao Paulo ansässigen Klub Palmeiras, gefiel und erhielt in Chaves einen Vertrag. Zwei Jahre später wechselte er zu Vitoria Guimaraes, bevor ihn der 1.FC Köln jetzt für 2,5 Millionen Euro bis 2012 verpflichtete.
Hier überschlagen sie sich mittlerweile angesichts der Leistungen des 23jährigen. Nach dem 0:3 gegen Bayern München am vierten Spieltag prophezeite Christoph Daum dem schlaksigen Innenverteidiger trotz dessen Mitschuld am ersten Gegentreffer wegen zuvor überragender Leistung: "Er ist ein junger Spieler. Er wird seinen Weg machen." Den geht der 1,90 Meter große Rechtsfüßer in Windeseile. Schon nach dem 2:1-Sieg in Gladbach attestierte ihm sein Trainer "absolute Weltklasse". Selbst wenn dieses Prädikat noch zu hoch gegriffen ist, seine Qualität ist unumstritten. Matthias Scherz (36), der seit 1999 für den FC stürmt, erklärt: "Das ist der stärkste Innenverteidiger, den ich hier erlebt habe." Trotz eines Rigobert Song, der 2001/02 die gegnerischen Angreifer abräumte. Geromel löst dies anders, eleganter. "Er bleibt erst weg, und wenn der Ball kommt, hat er das Zuspiel längst antizipiert und holt sich den Ball", beschreibt Scherz den Stil Geromels, der in Portugal zum besten Spieler der Saison gewählt wurde.
Eine Auszeichnung, der nicht alle Klubs trauten. "Andere Bundesligisten sagten: Dem fehlt die Härte, der ist zu brav", verrät Rainer Störk, der Geromels Berater Jorge Mendes in Deutschland vertritt. Eine Einschätzung, die der Brasilianer mit italienischem Pass ("Ganz ohne Fouls spiele ich auch nicht") mit einem Hinweis auf die zwei gelben Karten diese Saison lächelnd kommentiert: "Wer mich nicht mochte, der hat jetzt halt Pech gehabt." In der Tat. 2,5 lautet sein kicker-Notenschnitt. Und das, obwohl er seit Wochen mit einem eingerissenen Meniskus spielt, der bei Gelegenheit operiert werden soll. So überragend er verteidigt, so normal ist er als Typ. Oder eben nicht. Geromel entspricht nicht dem Klischee des Brasilianers, der sich aus den Slums aufmacht, um die Familie zu ernähren. Seine Eltern gehören dem Mittelstand an, sind beide berufstätig; sein Bruder schloss ein Wirtschaftsstudium in den USA ab. Der Gang ins normale Berufsleben hätte Geromel ebenfalls "gedroht", hätte er nach wenigsten Monaten in Chaves dem Heimweh nachgegeben. "In meinem Zimmer stand nur ein Bett, mehr nicht. Das Bad musste ich mit anderen Leuten teilen. Keine Freunde. Meine Familie fehlte mir. Und die Kälte im Nordosten Portugals war sehr hart", erinnert er sich. Sein Vater brachte ihn zum Umdenken: "Wenn du zurückkommst, bekommst du ein Bett und Essen, aber Fußball spielst du nicht mehr", hatte dieser gesagt. Für einen Brasilianer eine einfache Wahl. Auch wenn sein Spiel nicht landestypisch ist. Schnell, zweikampf- und kopfballstark ist er. Fehlpässe sieht man fast nie, aber genauso wenig spektakuläre Aktionen. "Meine Spielweise habe ich mir in Europa angeeignet. Ich habe wenig Brasilianisches in ihr", erklärt er. Geromel, der preußische Brasilianer.
Er spielt, wie er abseits des Feldes auftritt. Zuverlässig, zurückhaltend, pünktlich zur Stelle. Dass er zum Termin am Geißbockheim drei Minuten "verspätet" eintrifft, ist schon bemerkenswert. Ebenso, dass er anders als viele FC-Kollegen keinen PS-starken Boliden, sondern nur einen Mittelklassewagen fährt. Auf Statussymbole legt er keinen Wert. "Das ist nicht wichtig", sagt er, nachdem ihn seine Frau Liv abgesetzt hat, die wie er fließend Englisch spricht. "Er ist ein Typ mit Weitsicht", urteilt Störk. Die gab auch den Ausschlag dafür, nach Köln und nicht zum FC Turin oder Benfica Lissabon zu wechseln. "Ich habe den besten Weg für mich ausgesucht. Das Wichtigste war, dass ich immer spielen kann." In der Selecao muss das nicht unbedingt sein. "Das ist kein Kindheitstraum von mir. Ich mag es lieber, wenn mein Leben nicht so in der Öffentlichkeit steht." Aufgrund der Entführungsfällen in Familien brasilianischer Nationalspieler befürchtet er, "dass da Schlimmeres passieren könnte." Doch hält er sein Niveau, "droht" Pedro Geromel auch dieser Schritt. Anders als Ricardo Lopes, wie der Neu-Kölner mit Blick auf das eigene Glück berichtet: "Ricardo wurde nach zwei Monaten in Chaves weggeschickt. Er spielt keinen Fußball mehr."
STEPHAN VON NOCKS
Quelle: kicker-Printausgabe vom 20. Oktober 2008.