Taktikanalyse der Bundesliga

Nostalgiker

Das Runde muss ins Eckige
Ein Beitrag des Spiegel zum Wandel in der Spielweise der Bundesliga seit dem Jahr 2000.

Die Spieler gelangen an ihre Grenzen

Viele Taktikwechsel, Bälle erobern, kontern: Der Bundesligafußball hat sich verändert. Und die Spieler gelangen immer deutlicher an ihre Grenzen.

Von Tobias Escher

Christian Streich wusste, was er falsch gemacht hat. Seine Mannschaft hatte soeben 0:3 gegen den Tabellenvorletzten Hannover 96 verloren. Für den SC Freiburg ging es an diesem 33. Spieltag um nichts mehr, und trotzdem war Streich sauer.

"Weil wir die Jungs nicht permanent nerven wollen, haben wir keine Videoanalyse gemacht, nicht alles wieder auf den Punkt auf den Gegner zugeschnitten", so Streich. Ein Versäumnis, das sich rächte.

Streich ist nicht allein. Drei Viertel der Bundesligisten haben keine Chance zu bestehen, wenn sie mit halber Kraft und ohne Matchplan in eine Partie gehen. Die vergangene Bundesligasaison war der Abschluss eines längeren Prozesses, welchen die Liga in den vergangenen Jahren durchgemacht hat, vor allem aus taktischer Sicht.

Inzwischen werden enorme taktische Anforderungen an die Profis gestellt, sie müssen immer mehr sprinten und immer größere Distanzen zurücklegen. Bundesligafußball heute verbindet also neue wie alte deutsche Fußballtugenden. Das bringt die Spieler an ihre Grenzen - und darüber hinaus, wie man auch an den Torstatistiken erkennen kann. Doch dazu später mehr.

Es begann 2000

Rückblick: Nach dem Vorrundenaus bei der EM 2000 erlebte der deutsche Fußball eine Revolution. Der alte Stil - Manndeckung, Spiel mit Libero und ohne allzu viel taktische Feinheiten - war gescheitert. Die klassischen deutschen Tugenden Kampf, Wille und Laufstärke galten als altbacken, aus der Zeit gefallen.

Seither hat sich der deutsche Fußball gewandelt. Aus taktischer Sicht gab es zwei Meilensteine in der Entwicklung. Den ersten lieferten Anhänger des Tempofußballs wie Ralf Rangnick und Jürgen Klopp. Ihr Fußball war schneller, direkter, aggressiver. Sie brachten modernes Pressing und Konterspiel nach Deutschland.

Auch wenn einige Trainer aktuell versuchen, das ruhige Ballbesitzspiel ihrer Teams weiterzuentwickeln: Im Kern ist die Bundesliga eine Liga des schnellen Umschaltens. Hierzulande fallen deutlich mehr Tore nach Kontern als in den anderen europäischen Topligen. Laut der Fußballstatistik-Website Whoscored.com ist der Wert um 25 Prozent höher als in England, im Vergleich zu Italien beträgt die Differenz sogar 66 Prozent. Klopps Triumphe in Dortmund wirken nach.

Die zweite große Entwicklung stieß Pep Guardiola an. Als er von 2013 bis 2016 Bayern-Trainer war, betrieb er eine Politik des steten Wandels. Woche für Woche passte er seine taktische Formation an den Gegner an. 4-3-3, 4-4-2, 4-2-3-1, 3-5-2, 3-4-3: Es gab kaum eine Formation, die Guardiola nicht genutzt hat. Er lehrte seine Trainerkollegen: Egal, wie gut deine Spieler sind, es lohnt sich immer, die eigene Taktik auf den Gegner auszurichten.

Der auf den Gegner ausgerichtete Matchplan ist 2019 kein Exotenstück mehr. Gern wird er als Spielerei junger Trainer, gern auch abschätzig "Laptop-Trainer" genannt, abgetan. Doch keiner hat in der vergangenen Saison seine Formation häufiger variiert als Freiburgs Streich, 53. Und wäre Fortuna Düsseldorfs Coach Friedhelm Funkel nicht 65, sondern 35 Jahre jünger, er würde als moderner Taktikfuchs tituliert, so häufig wie er von Vierer- auf Fünferkette umstellt und wieder zurück. Taktische Flexibilität ist im Mainstream des deutschen Fußballs angekommen.

Anders als bei Guardiola ist der Grundgedanke der deutschen Trainer jedoch zumeist nicht, die eigene Offensive zu stärken. Häufiger geht es darum, dem Gegner nicht zu geben, was er möchte. Räume verschließen, Bälle erobern, kontern: Aus diesem Grund stellen die meisten Trainer um. Düsseldorf ist das Musterbeispiel, aber auch Freiburg, Leipzig, Wolfsburg, Augsburg, Hertha, Mainz und Hannover wechselten zwischen jedem zweiten oder dritten Spiel ihre defensive Formation.

Neue Tugenden mischen sich mit alten

Die neuen deutschen Tugenden Umschaltspiel sowie taktische Flexibilität treffen vermehrt auf die alten deutschen Tugenden. Kampf- und besonders Laufstärke sind weiter gefragt. Die Bundesliga-Spieler sind mit 72.000 Kilometern mehr gelaufen als je zuvor.

Die Anforderungen an die Spieler sind massiv gestiegen. Sie sind Dauerläufer und Sprinter, müssen sich Matchpläne einprägen und reagieren, sobald der Trainer neue Anweisungen auf das Feld brüllt. Kognitiv wie körperlich ist die Belastung höher als noch vor zehn Jahren.

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Hier geht es zum kompletten Beitrag: https://www.spiegel.de/sport/fussba...k-die-neuen-deutschen-tugenden-a-1268503.html
 

Herr der Daumen

Däumling
"Als er von 2013 bis 2016 Bayern-Trainer war, betrieb er eine Politik des steten Wandels. Woche für Woche passte er seine taktische Formation an den Gegner an."

Ist nicht genau das Guardiola immer vorgehalten worden?
 
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