Ein Flirt mit Ronaldo ohne Happy End
"Wo sind die Stars in der Fußball-Bundesliga? Der VfB Stuttgart war mal an einem (kommenden) dran - am 16-jährigen Ronaldo. "Stuttgart war der erste Club weltweit, der sich für mich interessiert hat", bestätigt der brasilianische Topstürmer. Der Transfer scheiterte 1994 an der Ablöse - rund fünf Millionen Dollar.
Es gibt Geschichten, die sind zu schön, um wahr zu sein. Die folgende ist so eine. Und der persönliche Aufstieg von Lionel Messi illustriert sie. Seit der FC Barcelona neulich in der Champions League den FC Chelsea entzaubert hat, ist Messi in aller Munde. Die Fußballwelt staunt über den 18 Jahre alten Zauberzwerg. Seine Künste sind längst unbezahlbar. Der FC Barcelona hat die Ablöse für ihn auf 150 Millionen Euro festgelegt und lacht sich ins Fäustchen: Als Messi praktisch zum Nulltarif bei den Katalanen unterschrieb, war er 13 Jahre alt. Ein unbeschriebenes Blatt - wie Ronaldo im Jahr 1994.
Ralf Rangnick erinnert sich noch genau. So, als sei der Anruf des damaligen VfB-Managers Dieter Hoeneß erst ein paar Tage alt. "Hoeneß hat gesagt: Du musst nach Brasilien fliegen, am besten noch heute Abend", sagt der damalige Jugendkoordinator der Roten. Ein Berater hatte den Roten etwas vorgeschwärmt. Von einem 16-Jährigen war die Rede, schüchtern, mit einer mächtigen Zahnspange und scheinbar unermesslichem Fußballtalent. Außerdem bot er ein anderes Talent an. Sein Name: Dener.
Stunden später saß Rangnick im Flugzeug. Im Maracana-Stadion von Rio de Janeiro sah er Cruzeiro Belo Horizonte. Mit Ronaldo. Und mit Dener. Eine Mission mit tragischem Ende: Tags darauf verunglückte Dener auf der Fahrt zum Training tödlich.
Ronaldo aber hatte es Rangnick angetan. Schon der erste Eindruck genügte ihm: "Es war nicht schwer zu sehen, dass Ronaldo ein ganz besonderer Spieler war. Es war klar: Wenn er gesund bleibt, wird er ein Star."
Das war der Beginn eines Versteckspiels. Eine Woche dauerte das Katz-und-Maus-Spiel, so lange blieb Rangnick.
Der Präsident von Cruzeiro, ein Politiker, lag ihm flehend in den Ohren: "Demnächst ist hier Wahl, ich kann Ronaldo nicht verkaufen, die Leute würden mir das nie verzeihen." Trotzdem gab es ein privates Treffen. Bei Nacht und Nebel in Rangnicks Hotelzimmer. Ronaldo kam im Schutz der Dunkelheit, durch den Hintereingang. Rangnick überreichte Ronaldo ein VfB-Trikot. Damit hinterließ er bleibenden Eindruck. Vor einiger Zeit trafen sich die beiden wieder. Ronaldo sagte: "Ich erinnere mich an das VfB-Trikot. Stuttgart war damals der erste Club, der sich für mich interessiert hat." Als Rangnick wieder auf dem Wasen war, schwärmte er Dieter Hoeneß vor: "Ein Supertalent, überragend, mit allen Qualitäten, die man sich denken kann." Die Sache hatte nur einen Haken: Cruzeiro forderte fünf Millionen Dollar Ablöse. Heute huscht ein Lächeln über das Gesicht von Ulrich Ruf. Der Finanzvorstand der Roten hatte schon damals die VfB-Kasse gehütet. "Umgerechnet waren das neun bis zehn Millionen Mark. So viel Geld hatten wir nicht. Damals gab es überhaupt keine Transfers in dieser Größenordnung", erinnert sich Ruf.
Deshalb war das Thema so schnell vom Tisch, wie es aufgekommen war. Ein Flirt ohne Happy End. Stoff für (unerfüllte) Träume. Nur nicht für den PSV Eindhoven. Mit dem Philips-Konzern im Rücken verpflichteten die Niederländer im Sommer 1994 Ronaldo. Zwei Jahre später reichten sie ihn an den FC Barcelona weiter - für 15 Millionen Euro."
Stuttgarter Nachrichten 22. März 2006