Diesen Bericht kann ich euch nur wärmstens empfehlen:
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Zoltan Sebescen beendet seine von einem Trauma geprägte Karriere
Stuttgart - Zoltan Sebescen hat die Bilder noch genau vor sich. 2:1 führten die Niederlande gegen Deutschland zur Halbzeit, erschöpft saßen die Nationalspieler in der Kabine der Amsterdam-Arena. Auch die Worte von Erich Ribbeck hat er noch im Ohr. "Wir wechseln", hörte er den Teamchef sagen, "Deisler für Sebescen." Das darf doch nicht wahr sein, dachte er, so schnell bekommt ein Nationalspieler, der Fehler gemacht hat, die Quittung. Er wußte, daß ihm beim ersten Tor ein Gegner weggelaufen war und daß er beim zweiten Treffer eine Flanke unterschätzt hatte. Doch daß ein Debütant so "eiskalt rasiert wird", hatte er mit seinen damals 24 Jahren nicht für möglich gehalten. Zumal er, ein offensiver Mittelfeldspieler, als Verteidiger aufgestellt worden war.
Sebescens letzte Erinnerung an sein einziges Länderspiel: Er sitzt während der zweiten Hälfte allein im Bus und wartet auf die Kollegen, die ihn später trösten. Es ist beim 2:1 geblieben. Lothar Matthäus kommt als erster, dann Oliver Kahn und zuletzt Oliver Bierhoff.
Mehr als fünf Jahre sind seit jenem 23. Februar 2000 vergangen, doch manchmal kommt es Zoltan Sebescen so vor, als wäre das Spiel seines Lebens erst vor wenigen Wochen abgepfiffen worden. Er hat sogar ein paar Mal von diesem Abend geträumt. "Es war letztlich ja auch ein Höhepunkt für mich, obwohl es an diesem Tag nicht so gut gelaufen ist." Die Presse hat ihn zerrissen.
Sebescen, 29 Jahre, sitzt bei einem Glas Wasser im "Timone", einem italienischen Cafe in Stuttgart-Sillenbach. Vor einem Jahr ist er mit seiner Frau in die Stadt zurückgekehrt, wo er 1995 in der Regionalliga bei den Kickers seine Profikarriere begonnen hatte. Er kam aus Leverkusen, wo er sich mit Bayer 04 nicht mehr auf einen Vertrag verständigen konnte. Wie auch? Er war zu lange verletzt, spielte zuletzt im Februar 2003. Der Verein hatte keine Hoffnung mehr - nur er selbst. Eine Bekannte sieht Sebescen. "Geht es dir gut?" fragt sie über zwei Tische. "Nein, nicht wirklich."
Doch mit den Erinnerungen an das Spiel gegen die Niederlande hat das nichts zu tun. Es geht um viel mehr. Darum, daß es kein weiteres Spiel geben wird. Es geht um das Ende der Karriere des Fußballprofis Sebescen.
Er kam im Sommer 2004 nach Stuttgart, weil er nach sechs Operationen innerhalb von zwei Jahren am linken Knie noch einmal den Weg zurückfinden wollte. Trotz kaputter Schleimhäute und eines in zwei Teile zerfetzten Meniskus'.
Die Berufsunfähigkeit vor Augen und die deprimierenden Aussagen der Ärzte im Kopf quälte er sich im Reha-Zentrum. Manchmal bis zu sechs Stunden täglich. Krafttraining, Massagen, Elektrotherapie, Radfahren und Läufe. Als er Mitte 2005 erstmals den Ball wieder jonglieren konnte, wenn auch nur fünf-, sechsmal, da habe "ich mich wie ein kleines Kind gefreut".
Er fragte bei den Stuttgarter Kickers an und bestritt im Juli die Vorbereitung mit. Doch nach zwei Wochen schwoll sein Knie wieder an. Vertraute Schmerzen. Er hätte wieder zum Arzt gehen, Wasser aus dem Knie nehmen und Schmerzmittel schlucken können. Aber Sebescen hatte genug. "Ich habe in den vergangenen Jahren alles über mich ergehen lassen, weil ich unbedingt wieder spielen und noch einmal das Gefühl erleben wollte, wie es ist, ins Stadion einzulaufen."
Nun war ihm der Preis zu hoch, "weil ich noch 50 Jahre leben werde und das Knie dann halten soll". Also ging er vor drei Wochen in die Praxis von Dr. Rüdiger Degwert, der einzige Arzt, der bis zuletzt noch an ihn geglaubt hatte. "Ich bin rein und habe gesagt: "Doc, Fußball ist hiermit für mich beendet.' Da nahm er einen dicken roten Filzstift, schlug meine Krankenakte auf und schrieb in großen Buchstaben "Kapitulation' drauf. Danach machte er die Akte zu und sagte nur: "Alles klar!'"
Sebescen wirkt gefaßt. Weil er sich nicht so fühlt, wie einer der kampflos aufgegeben hat. Es liegt ihm fern, irgend jemandem Vorwürfe zu machen. Weder den Ärzten, die ihm nie so genau sagen konnten, warum sein Knie so viele Probleme bereitet, und die eine Borreliose in Folge eines Zeckenbisses zu spät erkannten, durch die Bakterien ins Knie gelangten. Noch Leverkusens Verantwortlichen, die ihn überredeten, das Champions-League-Finale 2002 gegen Real Madrid zu spielen, obwohl er doch verletzt war. "Ich würde mich heute wieder so entscheiden. Ich habe es für den Verein getan und für mich, denn solche Spiele kriegst du nur einmal im Leben."
Und in diesem Leben will der Student Sebescen im Januar in Düsseldorf seinen Abschluß in Sportmanagement machen, das Studium verlief beinahe so rasant wie seine Karriere als Fußballprofi. In Wolfsburg kam er nach nur acht Einsätzen zu seinem ersten und einzigen Länderspiel, 2001 folgte der Wechsel für zwölf Millionen Mark nach Leverkusen. "Eine schöne, bewegte und kurze Fußballkarriere mit einem ####ende", sagt Sebescen.
Dennoch wird er sich morgen daheim das Länderspiel anschauen. Sebescen kann Fußballspiele jetzt wieder entspannt verfolgen, "weil das Kribbeln nicht mehr da ist". Aber die Erinnerungen werden wieder hochkommen. "Egal, es war ein großer Abend für mich - mit einer großen Enttäuschung", sagt er. Auch weil sich Erich Ribbeck nie wieder bei ihm gemeldet hat.
Dafür hört Zoltan Sebescen noch immer die Worte: "Wir wechseln!"
quelle: Die Welt