Dabeisein wäre alles gewesen - WM Kolumne bei fussballdaten.de

Cashadin

Moderator
Teammitglied
Weil ich es für eine recht gute Idee halte, hier mal eine nette Serie über all jene - die man nie bei einer WM erleben durfte.

Die Kolumne gibts nachzulesen bei Fussballdaten.de

Neue Serie! Best, Schuster, Litmanen und viele andere: Sie gehörten zu den besten Spielern ihrer Zeit und waren doch nie bei einer WM dabei. Wir holen sie aus dem Schatten der Geschichte. Folge 1: King George.

In der Gruppenphase der Champions-League-Saison 1994/95 hatte es der FC Bayern München mit Paris St. Germain zu tun. Für die Stierschenkler um Lothar Matthäus ein überaus unangenehmer Gegner. Denn er hatte Le Guen und Ricardo in seinen Reihen, die Strategen, und auch Valdo und Rai, die im Mittelfeld virtuos ein brasilianisches Kombinationsspiel aufzogen. Oft bezogen sie David Ginola mit ein, ebenso flink wie gefönt, und ließen die Bayern staunen. Aber es wäre alles nichts gewesen ohne den König - King George, George Weah.

Auf Höhe der Mittellinie bekommt der King den Ball. Noch im Trab nimmt er ihn an. Für einen Moment steht er seinem Gegenspieler wie bei einem Duell gegenüber. Dann beugt er seinen Oberkörper nach vorn, winkelt den Kopf wie eine Ramme ab. Für jeden spürbar, setzt er seine Beine unter Spannung, sammelt Energie und ist in sich bald wie ein Katapult. Der arme Schupp, Wouters oder wer auch immer versucht, den Weg zum Tor abzuschirmen! Sie alle sind chancenlos, als Weah sich jetzt selbst abschießt. Mit einem unsichtbaren Schwung des Fußgelenks legt er den Ball an ihnen vorbei und hat sie mit nur drei gewaltigen Schritten hinter sich gelassen. Verblüffend offen ist nun der Raum vor dem Sechzehner. Weah durchmisst ihn, den Kopf noch immer abgewinkelt, mit der Grazie eines rennenden Raubtiers. Parallel zur Linie zieht er nach innen, vielleicht stürzt sich ihm Jorginho entgegen. Umsonst: Weah lässt ihn ins Leere fliegen. Und da tut ich eine Lücke auf, man sieht Kahns malmenden Kiefer. Aus dem Fluss der Bewegung heraus schwingt Weah jetzt das rechte Bein nach hinten und schießt so plötzlich und so hart, dass der Torwart nur noch schauen kann. Der Ball schlägt in Netz, und Weah dreht ab, seinen Kopf noch immer abgewinkelt.

Es war das Tor zum 1:0-Sieg der Pariser in München. Und es war eines der Tore, wie sie George Weah viele schoss: Mit der Macht einer Katastrophe, zwangsläufig und schrecklich schön. Und immer hielt er dabei den Kopf so seltsam abgewinkelt, wie eine Kugel gleichsam durchschlug er die Reihen. Achtmal traf er in neun Spielen dieser Champions-League-Saison und wurde im selben Jahr zum Fußballer des Jahres in Europa, Afrika und weltweit gewählt.

Sein Tor gegen den FC Bayern sahen die Bosse des AC Milan noch am selben Abend im Flieger aus Salzburg, wo ihre Mannschaft ein Auswärtsspiel bestritten hatte. Sie waren so beeindruckt, dass sie das Band immer wieder zurückspulten, um zu begreifen, wie er es gemacht hatte. Deshalb war es keine Überraschung, dass Weah sich im folgenden Jahr dem AC anschloss, um sein von Verletzungen geplagtes Idol Marco van Basten zu ersetzen.

Und sofort machte er sich daran, die Herzen der Rossoneri-Fans zu erobern. Er erzielte eine ganze Reihe fantastischer Tore, am denkwürdigsten vielleicht jenes gegen Verona in einem der ersten Spiele für seinen neuen Verein, als er mit archaischer Eleganz zu einem Sololauf über den ganzen Platz ansetzte und zuletzt auch den gegnerischen Torhüter überwand. Mit dem AC gewann er zwei italienische Meisterschaften. 1998 erkor man ihn gar zum afrikanischen Spieler des Jahrhunderts.

Natürlich war er auch in seinem Heimatland Liberia herausragend. Als Mittelstürmer und Kapitän führte er die Nationalmannschaft bei vielen Afrikameisterschaften und WM-Qualifikationsturnieren an. Doch es fehlten dem Team Spieler, die auch nur annähernd die Klasse Weahs gehabt hätten. Die, die da waren, konnten die Freiräume, die entstanden, weil er vom Gegner in Doppel- oder sogar Dreifachdeckung genommen wurde, nicht nutzten. So erreichte Liberia weder hier noch da Zählbares. George Weah, neben Romario, Stoichkov und Vialli der wohl beste Stürmer seiner Zeit, hat nie an einer Weltmeisterschaft teilgenommen.

Der schleichende Verlust seiner Athletik und Kraft schmälerte die letzten Jahre seiner Karriere. 2000 verließ er Mailand und ging zum FC Chelsea. Dort kam er an Jimmy Floyd Hasselbaink schon nicht mehr vorbei. Nach einem schnellen Wechsel zu Manchester City und nur einem halben Jahr in England floh er zu Olympique Marseille. Zuletzt spielte er für Al Jazeera in den Vereinigten Arabischen Emiraten.

Trotz des langen Sinkflugs blieb Weahs Ruhm daheim in Liberia ungebrochen. Er hatte sich seit Mitte der 90er Jahre für humanitäre Belange engagiert. Nicht wenige hielten ihn für den Heilsbringer in dem vom Bürgerkrieg zerrütteten Land. 2004 erklärte er, für die Präsidentschaftswahlen zu kandidieren. Trotz seiner Unerfahrenheit in der Politik wurden ihm gute Chancen eingeräumt, er unterlag jedoch in der Stichwahl Ellen Johnson-Sirleaf. In der Niederlage fiel Weah aus der Rolle, als er sich im Dezember 2005 entgegen dem offiziellen Wahlergebnis zum Präsidenten ausrief und damit in Monrovia Unruhen auslöste.

Abseits des Platzes wird Weah zusehends zu einem Ritter von trauriger Gestalt. Aber als Fußballer werden wir ihn als King George in Erinnerung behalten, der Abwehrreihen durchschlug und Tore schoss, die noch immer ihresgleichen suchen.

Dirk Gieselmann
 

Cashadin

Moderator
Teammitglied
Und auch den 2. Teil gibts schon.

Weah, Schuster, Best und andere: Sie gehörten zu den größten Spieler ihrer Zeit und haben doch nie an einer Weltmeisterschaft teilgenommen. Wir holen sie aus dem Schatten der Geschichte. Folge 2: Der Verfolgte.

In Barcelona trägt das Nou Camp, eines der schönsten Stadien Europas, einen besonderen Namen: "Das Haus, das Kubala gebaut hat". Nun war dieser Kubala kein katalanischer Maurer, dem ein Kraftakt gelungen war, auch kein Baulöwe von der Costa del Sol. Ladislao Kubala war ein Fußballer, ein Stürmer, der durch sein kunstvolles Spiel den Riesenbau erst notwendig gemacht hatte. In den 50er Jahren wollten alle Kubala sehen.

Seinerzeit bestand der Reiz des Spiels weniger in der Athletik heutiger Tage, als vielmehr in der Eleganz. Alfredo di Stefano, der blonde Pfeil, der gar nicht mehr so blond war, sondern eine weithin sichtbare Glatze hatte, trieb bei Real Madrid den Ball durchs Mittelfeld, und alle schauten ihm zu wie in Erwartung einer Inszenierung, eines vorkomponierten Stücks.

Kubala, sein großer Widersacher beim Erzrivalen Barcelona, war sogar noch versierter, aber zuweilen etwas faul. Seine Art zu spielen ist heute wohl noch schwerer vorstellbar als die Alfredo di Stefanos. Sie war ein letzter Gruß der Fußballartisten, die dann verschwanden, Arthur Friedenreich etwa, der Brasilianer, José Andrade, Weltmeister mit Uruguay 1930, oder Matthias Sindelar, der "Papierne" – ein letzter Gruß aus einer Welt, die unterging.

Bezeichnend nur, dass Ladislao Kubala in einem Wanderzirkus nach Barcelona kam. Er hieß "Hungaria" und war eine Fußballmannschaft aus Staatenlosen und Flüchtlingen. In seiner Jugend hatte er wie sein Vater zuvor für Ferencvaros Budapest gespielt. Schon damals gehörte er zu jener seltenen Art von Offensivspielern, die sich selbst Tore überlegen. Mit 17 Jahren berief man ihn erstmals in die ungarische Nationalmannschaft. Aber ihm blieb wenig Zeit, um sein Talent zur Entfaltung zu bringen: Er floh vor dem Militärdienst in die Tschechoslowakei. Nach Monaten der Entbehrung gab man ihm in Bratislava einen Vertrag, er wurde Meister und alsbald auch hier Nationalspieler.

1948 kehrte er nach Ungarn zurück und spielte für Vasas, maß sich mit Puskás und Hidegkuti. Doch schon ein Jahr später entzog er sich dem kommunistischen System und kam über Österreich nach Italien, wo er für Pro-Patria auflief. Auch für den AC Turin machte er ein Spiel. Zum Glück reiste er danach nicht mit der Mannschaft zurück: Die Superga-Air-Maschine zerschellte an einem Berg, nur ein Passagier überlebte. Derweil legte Vasas, aufgehetzt vom politisierten ungarischen Verband, eine Beschwerde bei der FIFA ein. Kubala habe nicht nur seinen Vertrag gebrochen, er sei zudem ein Fahnenflüchtiger, hieß es in der Schrift. Der Weltverband lud Schuld auf sich: Er sperrte Kubala für ein Jahr. Doch dieser entzog sich auch den Fußballmächtigen: Mit anderen Versprengten gründete er "Hungaria".

Die Mannschaft bestand zu großen Teilen aus Ausnahmekönnern, doch keiner von ihnen war auch nur annähernd so begabt wie Ladislao Kubala. Er war beidfüßig, hatte einen phänomenalen Schuss und die Übersicht eines Dirigenten. Als solcher tingelte er in der Folgezeit mit "Hungaria" durch Europa. Im Sommer 1950 brachten sie die spanische Nationalmannschaft an den Rand einer Niederlage. Es war ein bedeutender Tag für Kubala – und auch für den FC Barcelona. Denn im Publikum saß Pepe Samitier, einst ein großer Spieler und zu dieser Zeit Manager des Vereins. Er war verzückt von Kubala und bot ihm umgehend einen Vertrag an. Dieser schilderte ihm seine Lage, erzählte ihm von der FIFA-Sanktion. Samitier, im Nadelstreifenanzug und perfekt gekämmt, lächelte nur: "Mach Dir keine Sorgen. Das kriegen wir schon hin."

Tatsächlich bewirkte er die Aufhebung der Sperre, in der Zwischenzeit jedoch hatte auch Real Madrid Versuche unternommen, Kubala zu verpflichten. Die Verhandlungen zogen sich hin, und als Samitier endlich Tatsachen schaffen wollte, legte Kubala den Vertragsentwurf vor, den Real ihm unterbreitet hatte. So kam es, dass er der bis dahin bestbezahlte Spieler in der Geschichte des FC Barcelona wurde. Am 2. April 1951 machte er sein erstes Spiel und wurde noch am selben Tag in die spanische Nationalmannschaft berufen. Er kam auf neunzehn Einsätze, schoss 11 Tore und war damit neben di Stefano der einzige Spieler, der für drei Länder antrat. An einem Weltmeisterschaftsturnier nahm er dennoch nie teil.

Umso erfolgreicher war er mit seinem Verein. In einer einzigartigen Offensivreihe mit Basora, César, Moreno und Manchón errang er in den drei ersten Spielzeiten alle Trophäen, die zu erringen waren. In seinen elf Jahren bei Barca erzielte er 243 Tore in 329 Partien. Sein Weitblick, perfektes Passspiel und Ideenreichtum am ruhenden Ball waren berühmt. Oft jedoch wurde Kubala von den Verteidigern regelrecht geschlachtet. Sie mussten sich nicht vor Strafen fürchten: Nichts freute die Franco-Funktionäre mehr, als wenn die Separatisten vom FC Barcelona verloren und der fahnenflüchtige Kubala mit dem Gesicht im Rasen lag. Doch die Schikanen, denen er nun und immer schon ausgesetzt war, waren die gleichen Schikanen, denen die Katalanen ausgesetzt waren. Noch 1943 waren vor einem Spiel gegen Real Madrid Polizisten in die Barca-Kabine eingedrungen und hatten den Spielern zu verstehen gegeben, dass es ihnen nicht gut bekommen würde, wenn sie auf Sieg spielten. Sie verloren 1:11. Die Katalanen waren Verfolgte, und Kubala war es auch. Umso mehr liebten sie ihn.

Nach zwei weiteren Meisterschaften und zwei Triumphen im Messepokal beendete er 1962 seine Karriere, die so dramatisch verlaufen und letztlich ohne die Krönung geblieben war: eine Weltmeisterschaft. Als Nationaltrainer aber führte er Spanien 1978 zum Turnier nach Argentinien. Er füllte dieses Amt von 1969 bis 1980 aus, so lang wie kein anderer. 1999 wählten die Fans ihn zum größten Barca-Spieler aller Zeiten. Als er drei Jahre später starb, war auf zahllosen Transparenten zu lesen: "Adiós a una leyenda!" Sie hingen im Nou Camp, dem Haus, das er selbst gebaut hat.

Dirk Gieselmann
 

Kerpinho

FL-Pate
Teammitglied
Nett - sogar sehr nett! :spitze:

Aber erscheint diese Serie nicht eigentlich unter "11 Freunde"?

RWG!
 

Cashadin

Moderator
Teammitglied
Jap, stimmt.

In den frühen 70er Jahren spielte der SV Hammerschmiede Augsburg keine wesentlich größere Rolle als heute. Er ist ein kleiner Verein, einzig sein Name mag zum Nachdenken anregen. Lernten hier Karl Allgöwer und Martin Kree, was ein Hammer ist? Ja, sogar Dr. Hammer persönlich, Bernd Nickel? Keiner von ihnen. In den frühen 70er Jahren spielte in der Jugend des SV Hammerschmiede Augsburg ein Junge, der ein feines Füßchen hatte wie in Deutschland kaum einer vor und niemand nach ihm. Er war der blonde Engel: Bernd Schuster.

"Schuster ist eines der größten Talente, die ich jemals gesehen habe. Hier wächst ein spielerisches Genie heran", frohlockte DFB-Trainer Jupp Derwall. Doch wie auch das zweite sich abzeichnende Ausnahmetalent des deutschen Fußballs, Lothar Matthäus, stand Schuster mit einem Bein im Wahnsinn. Im Alter von 18 Jahren unterzeichnete er drei Verträge zugleich - beim FC Augsburg, bei Borussia Mönchengladbach und beim 1. FC Köln. Schließlich ging er zum FC und eroberte sich dort nach nur wenigen Spielen einen Stammplatz im defensiven Mittelfeld. Aus der Tiefe des Raumes beherrschte der junge Schuster das Spiel durch seine Übersicht und lange Pässe "wie einst Franz Beckenbauer", so Derwall. In seiner einzigen kompletten Saison für Köln schoss er obendrein neun Tore. Doch nach kaum zwei Jahren offenbarte Schuster: "Ich komme mit dem FC nicht dahin, wo ich hin will." Schon warben die großen Vereine aus Italien und Spanien um ihn.

Bei der EM 1980 trat Bernd Schuster erstmals ins Licht der internationalen Öffentlichkeit. Er war es, der im Finale die Abseitsfalle der Belgier aushebelte und so das Siegtor durch Horst Hrubesch ermöglichte. Man wählte ihn zum besten Spieler des Turniers. In den Stunden danach erfuhr er, dass sein Trainer Hennes Weisweiler den FC verlassen würde. "Was soll ich denn jetzt machen?", klagte er noch in der Kabine. Seine Frau Gaby wusste es, es zog sie nach Südeuropa. Bernd Schusters Abschied aus der Bundesliga war besiegelt: Er wechselte zum FC Barcelona.

Dort empfing ihn Udo Lattek, der wusste, dass Schuster kein handzahmer Spieler war. "Ich kriege den Bernd schon hin", sagte er. Er kannte sich in solchen Fällen aus. Denn in Barcelonas Kader stand ein junger Mann, dessen Genialität und Schrulligkeit damals schon offen lagen, wenn sie sich auch erst im Laufe der Jahre in beinah übertriebener Weise entfalten sollten. Sein Name war Diego Maradona. An dessen Seite und unter der Hand Latteks reifte Schuster zu einem Centurio des Spiels. Wo eine Lücke im Bollwerk des Gegners entstehen würde, das ahnte nur er und schlug genau dort hin den Zuckerpass. Alsbald waren auch seine Freistöße gefürchtet, seine Fernschüsse nicht weniger. In seiner ersten Spielzeit in der Primera Division gelangen Schuster gleich 11 Tore. Barcelona wusste nicht, wen es mehr lieben sollte, Maradona oder den blonden Engel vom SV Hammerschmiede Augsburg.

Allein Jupp Derwall war betrübt. Ungern sah er, dass Schuster die Bundesliga verlassen hatte, und strafte ihn wie andere Legionäre mit Nichtbeachtung. Das wiederum spielte Gaby Schuster in die Karten. Sie hielt eine Nationalmannschaftskarriere ohnehin für Beiwerk, kommerzieller Erfolg war nur auf Vereinsebene zu erlangen. War es also inszeniert? War es eine Aneinanderreihung von Missverständnissen? Ein Wort gab das andere, nach nur 21 Länderspielen erklärte Bernd Schuster seinen Rücktritt aus der deutschen Nationalmannschaft. Da auch Derwalls Nachfolger Beckenbauer keinen Schritt auf ihn zu machen mochte, blieb diese Entscheidung endgültig. Schuster hat nie an einer Weltmeisterschaft teilgenommen.

Acht Jahre blieb er beim FC Barcelona, gewann 1982 den Europapokal der Pokalsieger und wurde 1985 spanischer Meister. Dann das Sakrileg: Er wechselte, beraten von Gaby, zum Erzfeind Real Madrid. Zusammen mit dem mexikanischen Mittelstürmer Hugo Sanchez führte er hier die junge Generation der "Quintra del Buitre" um Emilio Butragueno, Manuel Sanchis und Martin Vasquez an und errang mit ihr prompt die Meisterschaft. Ungefähr zur gleichen Zeit wurde Lothar Matthäus, Schusters Halbbruder im Geiste und der weniger begabte von beiden, in Rom Weltmeister. Rufe nach Schuster im Vorfeld der WM hatte Teamchef Beckenbauer souverän überhört.

Im Folgejahr verteidigte Real den Titel. Schon 1990 aber gingen Bernd und Gaby Schuster erneut einen Weg, auf dem sie sich Feinde machten: Sie verließen Real und gingen zu Atletico Madrid. Drei Jahre noch spielte Bernd Schuster für den Lokalrivalen, mit dem er 1991 Vizemeister wurde. Ihn umgab nun die Aura eines Altvorderen, er war langsam geworden und das Spiel eigentlich zu schnell für ihn. Doch mit seinem einzigartigen Instinkt lenkte er es gleichsam aus dem Stand. Vor allem seine Freistöße suchten in Europa noch immer ihresgleichen.

Nach 316 Spielen und 84 Toren in der Primera Division und 13 Jahren im Exil kehrte der blonde Engel 1993 zurück in die Bundesliga. Gaby Schuster hatte Gefallen an Reiner Calmunds Idee gefunden, dem Werksklub Bayer Leverkusen durch die Verpflichtung ihres Mannes Esprit zu verleihen - Gefallen auch an der Bewegung von Geld, die dadurch einsetzte. Ein anderer alter Wolf kam hinzu: Rudi Völler. Schuster erwies sich als der weniger Hungrige von Beiden. Mittlerweile bärtig und nicht mehr ganz so zart wie früher, wirkte er behäbig, in Momenten sogar lustlos. Zu mehr als einem dritten Platz reichte es in seinen drei Spielzeiten für Bayer nicht.

Einige unvergessliche Tore schoss er noch, darunter einen Freistoß fast von der Eckfahne. Doch man wurde das Gefühl nicht los, dass Schuster sich der Bundesliga entfremdet hatte. War ihm das Spiel zu hässlich geworden? Ihm, dem Ästheten, wollten sie dieses Gebolze zumuten und nicht erkennen, dass er schon jetzt eine Legende war? Schmollend verließ er Leverkusen und paradierte noch einige Monate in San Jose und Mexico City.

Dann klang in der Ferne eine glanzvolle Karriere aus, die einst beim SV Hammerschmiede Augsburg begonnen hatte. Wie sein Epigone Stefan Effenberg trägt Bernd Schuster selbst eine Mitschuld daran, dass er nicht auch zu einem legendären Nationalspieler geworden ist. Seine Teilnahme hätte jede Weltmeisterschaft geadelt, und nicht wenige sagen, mit Schuster hätte die deutsche Elf das Turnier von 1982 gewonnen. Doch vielleicht ist es gerade die Arroganz in Schusters Biographie, die sie zu einer besonderen werden lässt. Später als Trainer sagte Schuster einmal zu seiner Mannschaft: "Keiner muss so gut spielen wie ich früher."

Dirk Gieselmann
 

Cashadin

Moderator
Teammitglied
Und Teil 4.

George Best. Bei dem denkt man eigentlich immer...war der echt nie dabei?

Di Stefano, Schuster, Weah und andere: Sie gehörten zu den besten Spielern ihrer Zeit und waren doch nie bei einer WM dabei. Wir holen sie aus dem Schatten der Geschichte. Teil 4: Georgie.

„Sterbt nicht so wie ich,“ schrieb er am Ende mit gelber, zitternder Hand, während seine Organe der Reihe nach ihren Dienst quittierten. „Sterbt nicht so wie ich.“ Sein ganzer Körper war vergiftet, und so schön er einst gewesen war: Lange bevor der Tod ihn abholte, sah er ihm schon verdammt ähnlich. „Sterbt nicht so wie ich.“ Eine sinnlose Warnung (als könnte man es sich aussuchen), die verzweifelte Warnung eines Mannes, der wusste, dass er eine dunkle Ikone war. „Sterbt nicht so wie ich.“ Wer will das schon? Aber leben wie er, das wollen viele. Und vielleicht ist es dann der Preis, so zu sterben wie George Best.

„Obwohl es einen im Grunde einen Dreck angeht, wird man wütend“, schrieb Ulrich von Berg in seinem Nachruf.

„Wer auch nach der Lebertransplantation weitersäuft wie tausend Russen, der hat selbst Schuld. Als ob es um Schuld ginge oder darum, wer Mitleid verdient.“ Zu Recht verbannt er damit ethische Überlegungen, die auf Bests Existenz ohnehin nicht anzuwenden sind. Ebenso müßig sind Erklärungsversuche, warum Best anfing, so hart zu saufen, dann immer härter und sich schließlich unter die Erde soff. War es Veranlagung? Der Druck? Lag es in der Familie? Best selbst wollte es ja auch nicht wissen. Der Durst, war der nicht Grund genug?

„1969 habe ich das mit den Frauen und dem Alkohol aufgegeben. Das waren die schlimmsten zwanzig Minuten meines Lebens.“ Dieser Spruch, der heute auf unzähligen T-Shirts angetrunkener Scherzbolde prangt, stammt von George Best, und der hat ihn ernst gemeint. Er war kein angetrunkener Scherzbold, er war der beste Fußballer der Welt, der nebenbei soff, und zwar „weit über das unter britischen Fußballern verbreitete Maß hinaus,“ so Ulrich von Berg. Weiß der Himmel, wie das möglich war: Best war ein Gott mit wehender Mähne, wahnsinnig rasant, expressionistisch dribbelnd, brandgefährlich, beidfüßig, mit einer abgrundtiefen Verachtung für alle Verteidiger - und immer auch bereit, selbst zu grätschen, sogar zu treten, sich irgendwie den Ball zurückzuholen, der ja ihm gehörte, weil er als Einziger mit ihm umzugehen verstand. Sein enger Freund Rodney Marsh sagte einmal über ihn und sein Spiel: „Best war der schnellste, der intelligenteste und der zerstörerischste Spieler, den es je gegeben hat. Es hab keinen Mutigeren als ihn.“

1961 entdeckte ihn Bob Bishop, Späher vom FC Manchester United, auf einem Acker in Belfast, wo er für die Lisnasharragh Intermediate School spielte. Georgie, so riefen ihn alle, war 15 Jahre alt und schon ein „Genie“, wie Bishop Trainer Matt Busby japsend berichtete. Der zuckte nicht mit der Wimper und holte Georgie und seinen Kumpel Eric McMordie nach Old Trafford. Doch beide plagte das Heimweh, und sie büchsten aus. Erst nach 14 Tagen konnte Bests Vater Dickie sie zur Umkehr bewegen. Es sollte nur zwei Jahre dauern, bis Georgie sein Debüt in der ersten Mannschaft gab. An diesem 14. September 1963 sprang „She Loves You“ von den Beatles an die Spitze der englischen Charts, und Best traumatisierte gegen West Bromwich seinen Gegenspieler Graham Williams, der noch Jahrzehnte später sagte: „Zeigt mir endlich mal ein Foto von dem Kerl, ich habe damals immer nur seinen Arsch gesehen.“ In seiner ersten Spielzeit schoss Best sechs Tore, wurde mit ManU Vize-Meister und trat erstmals für Nord-Irland an. In den wenigen intensiven Monaten, in denen das geschah, wurde er zu jener Ikone. Schon länger hatte der Rock’n’Roll danach gestrebt, mit dem Fußballsport eine unheilige Allianz einzugehen. Und Best war der ideale Hybride, „ein Balltreter“, so Ulrich von Berg, „der - nebenbei oder eigentlich - auch so etwas wie ein Popstar war, ein fehlgeleiteter Rock’n’Roller, dem nur die Gitarre abhanden gekommen war. Diese bis dahin nur ersehnte Kombination war für eine bestimmte Generation a dream come true.“

Und schon war George Best seinerseits eine unheilige Allianz eingegangen. Auf einem Jugendturnier in Zürich war er so besoffen gewesen, dass er sich in ein Taxi erbrochen hatte. Das wurde - zumal vom biederen Matt Busby - noch verharmlost und nahm auch tatsächlich erst selbstzerstörerische Ausmaße an, als der ManUs Lokalrivale City den ebenso durstigen Mike Summersbee verpflichtete. Best und Summersbee wurden zu den empörendsten drinking buddies des Königreichs, und kein Mädchen war sicherer vor ihnen als sie vor den Mädchen, wobei Best sich ein ums andere Mal die Visage von einem eifersüchtigen Verlobten polieren lassen musste. „Exakt 276 Tierfiguren befanden sich auf dem Tapetenmuster der Rückwand in Matt Busbys Büro,“ weiß Ulrich von Berg zu berichten - George Best hatte sie während der zahlreichen Moralpredigten des Trainers immer wieder durchgezählt. Viel konnte Busby nicht bewirken: Auf dem Höhepunkt ihres Schaffens eröffneten Best und Summersbee obendrein die obskure Boutique „Edwardia“.

Noch konnte Best die Exzesse kompensieren, nicht zuletzt durch seinen unbändigen Trainingseifer. Seinen auch unter Fachleuten, die sich für Rock’n’Roll oder dergleichen nicht die Bohne interessieren, gültigen Status als Weltklassespieler begründete er am 30. September 1964, als er beim Sieg gegen Tabellenführer Chelsea eines seiner besten Spiele überhaupt bot. „Er trieb seinen Gegenspieler Ken Shellito in einen Wahnsinn, von dem sich dieser niemals erholen sollte,“ erinnert sich Ulrich von Berg. „Er umkurvte mühelos zwei, drei Gegner und setzte dann zu seltsamen Doppelpässen an, einfach indem er den nächsten Konkurrenten in voller Absicht anspielte. Er erzielte auch ein eigentlich unmögliches Tor, in dem er sich in einen Rückpass von Hinton zu Keeper Bonetti mogelte. Best bot all das und noch mehr, aber er machte es anders, selbstverliebter, kreativer und dreister als die unzähligen Fummelkönige.“

Dank George Bests überragenden Könnens, der Ruhe und Verlässlichkeit seines Antipoden Bobby Charlton und der Kompromisslosigkeit und des Instinktes seines Bruders im Geiste Denis Law (gemeinsam bildeten sie die „Holy Trinity“) wurde der FC Manchester United 1966 und 1967 englischer Meister. Mit seinem Führungstreffer im Endspiel des Landesmeisterpokals 1968 ebnete Best den Weg zum 4:1 Sieg gegen Benfica Lissabon. Hinterher sagte er: „Ich habe immer davon geträumt, den Torhüter auszuspielen, den Ball auf der Linie zu stoppen, mich hinzuknien und ihn dann mit dem Kopf ins Tor zu befördern. Gegen Benfica hätte ich das fast getan. Den Keeper hatte ich hinter mir gelassen, aber dann habe ich gekniffen. Der Trainer hätte sicherlich einen Herzinfarkt bekommen.“ ManU war es als erster englischer Mannschaft gelungen, den wichtigsten Vereinspokal zu gewinnen. England lag George Best zu Füßen und wählte ihn zum Spieler des Jahres und zum fünften Beatle. Noch im selben Jahr erwies Europa ihm die gleiche Ehre.

Doch diese in sportlicher Hinsicht glanzvolle Karriere blieb unvollendet. Zwar bestritt George Best 37 Länderspiele und schoss dabei neun Treffer, konnte damit dem ansonsten dürftig besetzten Team nicht zu der Teilnahme an einer Weltmeisterschaft verhelfen. Erst 1982 und 1986 qualifizierte sich Nord-Irland für das Turnier, doch da kickte George Best schon jenseits von Gut und Böse in längst untergegangenen Operettenligen. Den Weg dorthin hatte er recht bald nach dem triumphalen Finale gegen Benfica eingeschlagen. Ab 1969, er war erst 23 Jahre alt, begann sein Stern zu sinken, und auch sein Verein befand sich rasch im freien Fall. „Aber da,“ so Ulrich von Berg, „war man schon unbescheiden geworden, wollte partout nicht einsehen, dass er für genug Wirbel gesorgt und dem britischen Fußball einen Innovationsschub verpasst hatte, der - rückblickend betrachtet - geradezu ungeheuerlich war.“ Best erschien immer öfter in desaströsem Zustand zum Training und begann sogar, Spiele zu schwänzen. Er war untragbar geworden und niemand, der ihn seiner besten Zeit erlebt hatte, konnte seinen Verfall mit ansehen. Ein Page, der Anfang der 70er Jahre mit dem Frühstück in Bests Hotelzimmer kam und ihn dort betrunken inmitten von lose herumliegendem Bargeld und leeren Flaschen vorfand, soll ihn angeschrieen haben: „Wann ist denn bloß alles schiefgelaufen, Georgie?“

Und es lief weiter schief. 1974 hatten die Verantwortlichen die Faxen dicke. Nach 466 Spielen und 178 Toren durfte Best nicht mehr für ManU auflaufen. Zwar zeigte er auf seinen Stationen in Los Angeles oder San José noch Spuren seines Könnens, doch all das muss als unwürdiger Epilog seiner Karriere angesehen werden. Erst 1984 fand sie ein viel zu spätes Ende. Ein honoriger Sportbotschafter ist Best danach nicht geworden. Wer hatte das auch allen Ernstes erwartet? Ungern wollte die FIFA sich aufs Buffet kotzen lassen, und die Fußballunternehmer Pelé und Beckenbauer lupften sich auf den Galas lieber allein die Bälle zu. Georgie war’s recht, so konnte er ungestört weiter- und immer weitersaufen.

„Sterbt nicht so wie ich.“ Die sinnlose Warnung, wie gesagt, eines Mannes, der eben dieses Sterben mit brutaler Konsequenz vorangetrieben hatte. „Sterbt nicht so wie ich.“ Was sollten die Hunderttausend, die seinen Sarg säumten, mit diesem Testament anfangen? „Sterbt nicht so wie ich.“ Vielleicht war es Reue, wenn auch allzu spät. „Sterbt nicht so wie ich.“ Einer immerhin hat ihm den Gefallen getan: Sein alter Vater Dickie, der aus Belfast an sein Bett geeilt war. Er war immer sein größter Fan gewesen.

Dirk Gieselmann
 
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