Kläuschen ist auch Deutschland!

Grün-weiß bis in die Unterhosen. Unserem WM-Reporter fällt es schwer, sich in nationale Begeisterung hinein zu grooven. Der Lohn für den Un-Patrioten aus Bremen: Er bekommt eine Wurst an den Kopf geworfen.

Gehören Sie auch zur Autoflaggenfraktion, oder eher zu denen, die ihren Balkon seit zwei Wochen schwarz-rot-gold ausgestattet haben? Oder vielleicht machen Sie auch beides? Ich tue mich schwer damit, weil ich ein Gewohnheitstier bin, das alles Neue befremdlich findet. Denken Sie jetzt nicht, dass ich die Leistung der Klinsmänner zu wenig würdige. Ich weiß, dass die Jungs überragend sind, aber deshalb jeden neuen Trend mitmachen?

Ok, ein Versuch war es wert. War schon klar, dass Sie mir das nicht abnehmen würden. Die Wahrheit ist: Ich bin seit meiner Geburt krankhafter Werder-Bremen- Fan. Ich kann mir nicht so einfach dieses Fähnchen an die Karre pinnen, oder noch schlimmer ein Deutschland-Trikot überziehen. Das wäre in etwa so, als ob ich meine nicht vorhandene Freundin betrügen würde.
Natürlich hat auch mein Wagen schon Fahnen gesehen und Schals. Er wurde mit Aufklebern verziert und auf unzähligen Auswärtsfahrten quer durch die Republik als Biermüllhalde missbraucht. Aber alles immer nur im Auftrag meiner grün-weißen Helden aus Bremen.


Mit frischem Bier zuprosten

Dass ich mir deshalb zum Public-Viewing- Deutschland- Schweden-Gucken ein schlichtes Werder-T-Shirt überstreife und nicht das weiße Poldi-Trikot, überrascht Sie das? Nicht mal das von Miro Super-Klose würde ich kaufen, und der spielt ja sogar in Bremen. Aber immerhin, ich hatte mir vorgenommen, der ganzen Sache eine Chance zu geben. Vielleicht würde ich nach dem Massenevent mit 70.000 verrückten Deutschland-Fans plötzlich stolz Schwarz-Rot-Gold hissen. Allein, es sollte ein kühner Gedanke bleiben, fern der Realität.

Schon beim Abspielen der Nationalhymne, die sogar der Türke neben mir mitträllert, beschleicht mich ein mulmiges Gefühl in der Magengegend. Das ist hier so gar nicht meine Veranstaltung, denke ich. 120 Kilometer südlich im Weserstadion bin ich immer der erste an der Spritze, wenn's ums Singen des Vereinslieds geht. Aber das hier? Die sollen mal schön alleine singen. Dann schon folgt bald die Podolski-Gala mit zwei frühen Toren für uns. Nein, falsch, für sie, für die anderen. Der Jubel kennt keine Grenzen mehr, wildfremde Menschen liegen sich in den Armen, Bier fliegt, sogar Würste. Schnell wegducken, sonst bekommt man eine mit Curry ab. Mein Kumpel (auch Werder-Fan allererster Güte) und ich schauen uns an. Kein Abklatschen, kein gar nichts. Immerhin: Wir prosten uns mit Plastikbechern zu. Nein, nicht der Tore wegen, weil das Bier frisch ist.


Was ist grün und stinkt nach Fisch?

Bis zum Abpfiff zeige ich keine Emotionen. Schön, dass die Mannschaft es gepackt hat, sich mit einem großen Sieg für das WM-Viertelfinale zu qualifizieren. Was machen wir heute Abend noch so? Alte Werder-Videos angucken, super Idee. Sie sollten mich mal im Weserstadion sehen. Das sind 90 Minuten Leiden, Zittern und Anspannung pur. Meine Dauerkartensitzplatznachbarin kriegt bei Werder-Toren jedes Mal blaue Flecken, weil ich sie beim Jubeln immer in die Hüfte boxe, und ja, ich hab' auch schon Bananen auf Olli Kahn geworfen. Für diese von Leidenschaft beseelte Mannschaft - und mögen noch so viele Söldner in ihr spielen - würde ich alles tun. Aber für Deutschland?

Leicht frustriert bahnen wir uns den Weg durch die Massen, und plötzlich hören unsere Ohren die bekannten Lieder: "Was ist grün und stinkt nach Fisch... Werder Bremen" usw. Die alten Schlager aus der Bundesliga. Herrlich! Oder der hier: "Eins kann uns keiner nehmen und das ist der pure Hass auf Bremen". Menschen mit Deutschland-Trikots feinden uns plötzlich an, wir finden das überhaupt nicht schlimm, vielleicht auch weil genug Sympathiebekundungen dabei sind - sogar mehr. Ich bin jetzt doch irgendwie beruhigt. Trotz der vielen Fähnchen an den Autos hat sich nichts geändert. Was ist schon ein WM-Viertelfinale gegen Argentinien gegen den 11. August? Dann geht die Bundesliga wieder los.

Quelle: stern.de

:lady:
 
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