Plattlin’ in the wind
Warum nicht das Berliner WM-Programm einfach in München durchziehen? Ein Vorschlag für eine preisgünstige Kurzversion - komplett mit Lothar, MV und natürlich Bob Dylan. Von Christof Kneer
Zuletzt hieß es, André Heller würde nun doch keine Elemente seiner abgesagten Berliner WM-Gala in die Münchner Eröffnungszeremonie hinüberretten. Schade eigentlich. Mit ein bisschen Anstrengung wäre es kein Problem gewesen, aus Teilen des Superdupermegaevents eine 20-minütige, preisgünstige Kurzversion für München zu basteln, die den Rasen so schont, dass Deutschland anderthalb Stunden später gegen Costa Rica trotzdem 8:0 gewinnt.
Aber vielleicht überlegt es sich Heller ja noch mal – hier ein kleiner Vorschlag, der sich streng an den Originalelementen und -künstlern orientiert, die Heller für Berlin eingeplant hatte.
16.30 Uhr: Peter Gabriel kann aus Kostengründen nicht persönlich erscheinen, was aber kein Problem ist. Statt dessen wird sein Hit „Sledgehammer“ aufgelegt, wobei die LP nicht auf 33 Umdrehungen, sondern auf 45 abgespielt wird. Das spart Zeit, und mit den Zahlen ’33 und ’45 ist gleichzeitig auch die deutsche Vergangenheit abgedeckt.
16.33 Uhr: Die ursprünglich geplante Videoshow – deutsche Phänomene von Struwwelpeter über Heino bis zum verpackten Reichstag – muss leider auch entfallen. Anstelle von Struwwelpeter tritt der ebenso frisierte Rudi Völler auf, statt Heino kommt Gerhard Mayer-Vorfelder und singt Blau, blau, blau blüht der Enzian. Und statt des verpackten Reichstags erinnert eine Einblendung an die unverpackte Frankfurter WM-Arena, in die es hineinregnet.
16.36 Uhr: Mitten in die Regenbilder erscheint Bob Dylan auf dem Rasen und singt A hard rain’s gonna fall – für den Rasen ist Dylans Auftritt kein Problem, weil Dylan sich in etwa so wild bewegt wie der verpackte Reichstag.
16.38 Uhr: Der rasenschonende Dylan präsentiert ein Medley seiner brandaktuellen, kaum 40 Jahre alten Hits. Kurz vor Schluss kommen ein paar Schuhplattler aufs Spielfeld und singen mit ihm gemeinsam seinen größten Erfolg Plattlin’ in the wind.
16.40 Uhr: Um die Schuhplattlerschäden zu reparieren, tritt als Greenkeeper ein Loddarmaddäus auf und interviewt sich beim Stopfen der Löcher selbst.
16.45 Uhr: Statt des Brandenburger Tors wird der Viktualienmarkt auf den Rasen projiziert.
16.45 Uhr: Um den Gegner des Eröffnungsspiels zu ehren, betritt Jürgen Klinsmann das Feld und macht eine Powerpoint-Präsentation über das Geschäftsprinzip von Starbucks, die wo auch Costa-Rica-Kaffee verwenden.
16.46 Uhr: Entfallen muss Hellers Idee, wonach Friedensnobelpreisträger auftreten und Wasser aus ihrer Heimat mitbringen. Stattdessen kommt der friedliebende Uli Hoeneß und trägt eine Rostbratwurst quer über den Rasen.
16.47 Uhr: Ein Herr von der Stiftung Warentest erscheint, um einen Vortrag über die Bedeutung der Fluchtwege ins Stadioninnere zu halten. Aber keiner hört ihm zu. Nach Hoeneß’ Auftritt sind die Zuschauer bereits zu den umliegenden Imbissbuden geflohen.
16.48 Uhr: Um die Zuschauer zurückzuholen, tritt kurzfristig noch mal Rudi Völler auf. Er zwinkert freundlich und sagt, dass es keine Kleinen mehr gibt. Das Stadion ist wieder voll.
16.49 Uhr: Der Höhepunkt der Show naht, und er wird viel besser als in Berlin. Dort hätte sich ein unbemannter, fliegender Globus in einen Fußball verwandeln sollen, und aus seinem Inneren sollte dann der Weltpokal hervorleuchten. In München reicht Franz Beckenbauer. Der ist bemannt und strahlt als Stiftung-Warentest-geprüfte Lichtgestalt mehr als jeder andere.
16.50 Uhr: Die anspruchsvollste Nummer kommt am Ende: Klinsmann lässt wie mit Zauberhand ein Tor rotieren, und Oliver Kahn haut Jens Lehmann mit dem Sledgehammer eins auf den Struwwelpeter. Die Mannschaften kommen aufs Spielfeld.
(SZ vom 19.01.2006)