Weißwürste statt Weltklasse
Von Achim Achilles
Okay, der Angerer-Tobi hat heut' Bronze geholt. Aber sonst? Bei den Winterspielen 2006 haben die bayerischen Athleten, einst Garanten für Olympia-Gold, bislang zumeist enttäuscht. In Turin glänzen andere - vor allem Edmund Stoibers Spezis aus den neuen Bundesländern.
Wir erinnern uns an das schönste Stück im Berliner Bauerntheater. Im Herbst vergangenen Jahres wurde es gegeben und hieß: "Vom Superstar zum Suppenhuhn." In der Rolle des Machers, des Heilsversprechers, des Fatzkes, des Verkrümelers, der Zicke, des Bußfertigen brillierte ein einziger Darsteller: Edmund Stoiber. Nur klein in der Nebenrolle als beleidigte Leberwurst: der Sauerländer Friedrich Merz. Man könnte die peinliche Angsthasennummer für einen Ausrutscher halten, eine Zufälligkeit. Aber sie war mehr: Stoibers Rückzug kündete von einem Epochenwechsel. Vorbei die Zeiten, als die Bayern von Natur aus und unangefochten den stärksten, besten, überlegensten aller deutschen Stämme stellten.
Was mit Stoiber begann, hat sich bei Olympia dramatisch fortgesetzt: die Entzauberung der Alpen-Großmäuler. Weißwürste statt Weltklasse. Bayerns Abstieg auf NRW-Level hat begonnen, auch wenn der in Traunstein geborene Skilangläufer Tobias Angerer heute Bronze über die 15 Kilometer holte. Gute Talfahrt. Holladriihooo!
Es tut schon weh, vor allem in der Medaillenbilanz, was wir da in den ersten Tagen ertragen mussten an Schlappen unserer einstigen bayerischen Hoffnungen, ob Anni Friesinger über 3000 Meter, Hackl Schorsch im Eiskanal oder Evi Sachenbacher-Heulsuse und Steffi Böhler beim Langlauf. Gar nicht mitgerechnet all die Disziplinen, in denen Bayern früher noch verlässlich Edelmetall holten. Ski alpin zum Beispiel. Von den Bergen kommen unsere süddeutschen Alleskönner heutzutage bevorzugt mit Heli oder Rotkreuz-Schlitten.
Tja, sagt der Sportpsychologe: zu satt, zu weich, zu träge - können sich halt nicht mehr quälen, unsere Bazis. Stattdessen umso besser rummeckern. Die Böhlerin, in Ruhpolding zuhause, erklärte jüngst, dass ihr auf den zehn Kilometern "erst schwarz vor Augen wurde und ich dann blau gegangen bin". Da kann man nur rot werden vor Scham. Oder grün vor Neid auf eine kleine Baltin namens Kristina Smigun, die den Super-Bayerinnen mal eben gezeigt hat, wo die Estin das Gold holt. 1,36 Millionen Esten gibt es, ungefähr so viele wie Münchner.
Der Mangel macht den Sportler stark
Nach sechs Tagen Olympia bleibt die bayerische Bilanz verheerend. Das einzige quasi-bajuwarische Einzelgold holte Michael Greis, aber der kommt aus Nesselwang im Allgäu, was schon fast in Baden-Württemberg liegt. Hart, aber wahr, König Edmund: Deutschlands Champs kommen aus den neuen Bundesländern, jenen Landstrichen kurz vor der Mongolei, denen Ihro Gnaden noch vergangenes Jahr Recht und Fähigkeit zum Denken, Atmen und Existieren abgesprochen habt. Sie heißen Kraushaar (Thüringen), Hüfner, Otto, Bauer, Künzel (Oberwiesenthal) oder Fischer (Oberhof) - und sie gewinnen. Oder hätten gewonnen. So wie Sebastian Haseney aus Suhl, der sich als Schlussläufer der Kombinations-Mannschaft das Gold bestimmt nicht mehr hätte abjagen lassen, schon gar nicht von einem Ösi.
Sollen wir nun trauern um die schöne Bilanz, die die Bayern uns vermasseln oder lieber unserer Gehässigkeit freien Lauf lassen? Weder noch, Sportsfreunde in Weiß-Blau, wir machen Euch jetzt Beine: Wir fördern nicht mehr, sondern wir fordern. Streichen einfach allen bayerischen Olympioniken den BMW, das warme Duschwasser und die Sporthilfe. Der Mangel ist es doch, der den Sportler stark macht und nicht der Überfluss. Gell, Edi? Um halb fünf morgens aufstehen, kalt brausen und dreimal am Tag trainieren. Sonst kommt der Standort Deutschland nie wieder nach vorn, Ihr verwöhnten Wohlstands-Bayern. Oder wollt Ihr ewig hinter den Ossis herhecheln? Die haben nun wirklich keine Lust, Euch ewig mitzuziehen.
Quelle: www.spiegel.de