aus der berliner Morgenpost:
Blutsbrüder unter sich: Union mit 3000 Fans zum FC St. Pauli
Von Horst Bläsig
Die Ansetzung dürfte Motivation genug sein. "Da muss sich jeder Spieler ärgern, wenn er nicht dabei ist", sagt Trainer Frank Wormuth vor dem Auswärtsspiel des 1. FC Union in der Fußball-Regionalliga morgen (19.30 Uhr) beim FC St. Pauli. Sportlich ist das Duell am Hamburger Millerntor nicht gerade ein Knüller, auf den ersten Blick sogar eine ziemlich trostlose Nummer. Der zu Hause in dieser Saison noch sieglose Tabellen-16. trifft auf den auswärts noch sieglosen Zwölften. Doch mit normalen Maßstäben ist das Aufeinandertreffen von St. Pauli und Union nicht zu messen.
Beide Klubs, St. Pauli noch weitaus mehr als Union, sind Underdogs in ihren Städten, wo der Hamburger SV und Hertha BSC zwei Klassen höher in modernen Großarenen mit Vip-Logen spielen. Auf St. Pauli und in Köpenick ist dagegen die Zeit stehen geblieben. "Ich wusste gar nicht, dass es solche Stadien noch gibt, wo fast alle Zuschauer stehen", staunte Bayern-Trainer Felix Magath beim Freundschaftsspiel des Rekordmeisters im Juli an der Alten Försterei.
Das Millerntor-Stadion unweit der Reeperbahn hat eine etwas größere Tribüne mit dem Charme der sechziger Jahre, aber nicht viel mehr Komfort zu bieten. Zu St. Pauli geht man nicht, um es bequem zu haben. Und schon gar nicht, um auf Erfolgswellen mitzuschwimmen. Bei Union ist das nicht anders. Gerade jetzt, wo der frühere Erstligist aus Hamburg und der letztjährige Zweitligist aus der Hauptstadt klamm sind und eher befürchten müssen, in die Oberliga abzurutschen, sind beide Klubs keine Adressen für Schönwetter-Fans.
Man bleibt unter sich. Und weil sich beide Vereine so ähneln, mögen sich ihre Fans wahrscheinlich so sehr. "Blutsbrüder" werden sie auf einem T-Shirt des 1. FC Union genannt, das auch im Fan-Shop des FC St. Pauli verkauft wird. Man hilft sich, wo man kann. Also unterstützten die Hanseaten im Juni mit einem Benefizspiel die Lizenzrettungskampagne der Köpenicker. Und wenn es schon kaum sportliche Erfolge zu feiern gibt, dann feiern sich die Fans eben selbst: Mit 18 000 rechnet St. Pauli gegen Union, 3000 kommen aus Berlin. Viel für ein Drittliga-Spiel am Freitagabend.
Highlight in einer Liga, in der die sieben Reserve-Teams von zumeist gut betuchten Bundesligisten im Normalfall vor ein paar Hundert Fans spielen. Doch es gibt auch prall gefüllte Stadien - in Braunschweig, Osnabrück oder eben auf St. Pauli. "Die Nord-Staffel hat trotz der Amateur-Teams mehr Atmosphäre zu bieten als die Regionalliga Süd", sagt Union-Trainer Wormuth und sieht für seine junge Elf am Millerntor und eine Woche später als Gast bei der Stadioneröffnung von Fortuna Düsseldorf keine Nachteile: "Die Mannschaft hat vor großen Kulissen keine Hemmungen, lässt sich davon eher zu guten Leistungen beflügeln."
Das ist auch nötig, um nach den beiden Auswärtsspielen nicht mit leeren Händen dazustehen und womöglich auf einen Abstiegsplatz wie St. Pauli zurückzufallen. Neben den Langzeitverletzten Ismael Bouzid und Hannes Wilking fehlt Union morgen Dian Popov (Knie-Operation). Sturmkollege Ryan Coiner steigt heute nach seiner Erkältung wieder ins Training ein, will gegen St. Pauli unbedingt dabei sein. Auf das Spiel des Jahres möchte bei Union niemand verzichten.