Auf baldige Genesung
Von Thomas Kistner
Im Bühnenrepertoire der Fußballprofis wird kaum eine Standardsituation mit mehr Hingabe gepflegt als jener Doppelpass aus Mimik und Gestik, der längst so rituelle Reife erlangt hat, dass er wachhabenden Funk- oder Fernsehreportern augenblicklich und wie ferngesteuert den immer selben, dämlichen Kommentar entlockt.
Das Ritual sieht so aus, dass ein Spieler, der soeben in bester Knochenbrecher-Manier einen anderen umgesenst hat, behende von der Grasnarbe aufspringt und – mit weinerlicher Unschuldsmine zwischen hochgezogenen Schultern – dem Schiedsrichter beidhändig die Umrisse eines imaginären Fußballs signalisiert. Der verbale Reporter-Reflex dazu lautet: "Kein Foul, er hat zuerst den Ball gespielt!"
Umfassend erschließt sich einem der Unsinn solcher Fachkommentare, sobald so eine Abwehraktion per Zeitlupe genauer studiert werden kann: Da sticht des Abwehrspielers Bein wie eine Lanze in des Ballführenden Parade, touchiert irgendwie, irgendwo kurz das Spielgerät, um im nächsten Bruchteil derselben Sekunde mit der Wucht eines 80-Kilo-Geschosses an Gegners Restkörper zu detonieren. Ohne Rücksicht auf Verluste. Warum auch?
Die marginale Ballberührung, die bei derlei Aktionen unausweichlich ist, bevor sich die meuchelnde Beinschere schließt, genügt ja vollauf, um Bruchlandungen im Bewegungsapparat des anderen als regelkonform zu rechtfertigen. "Hier sehen wir die Szene noch einmal", pflegt der Reporter dann brav zu analysieren, "erst wird der Ball berührt, danach kommt der gegnerische Spieler zu Fall!"
Man darf also gratulieren. Im jüngsten Fall Dortmunds Kickboxer Odonkor, der am Samstag per Fliegerangriff dem Bochumer Madsen zu einer längeren Schaffenspause verhalf. Madsen war bis in die Ersatzbank gerauscht, als ihn der Kollege umtrat – natürlich dort, wo die brutalsten Versuche, den Ball zu spielen, passenderweise stets ablaufen: Irgendwo an der Auslinie. Dort zieht man nicht gleich den Notbremsverdacht auf sich und kann um so ungestörter alte Rechnungen begleichen.
Den Schiedsrichtern hier einen Hang zum Machismo vorzuwerfen, führt zu weit. Es ist eher so, dass die mit der Überwachung der ständig sich zuspitzenden Jubel- und Bekleidungsvorschriften so ausgelastet sind, dass die Gesundheit der Athleten für sie mindere Bedeutung besitzt. Bleibt noch die Ergänzung fürs Regelheft: Die Grätsche führt notwendigerweise zu Zwangspause oder Invalidität – wird dabei zufällig der Ball berührt, ist dem Betroffenen baldige Genesung wünschen.
(Süddeutsche Zeitung vom 13.9.2004)
Damit höhr ich jetzt endlich auf zu nerven.Wünsche noch ne faire und vorallem Verletzungsfreie Saison.Bis zum Rückspiel.
Glück auf