weil's hier gut hinpasst, hier der Bericht von unseren Erlebnissen rund um's Match.
16.10.2004 FC Bayern München – FC Schalke 04 0:1 (0:0)
Es kommt der goldene Oktober, der nicht nur deswegen so heisst, weil das Wetter meist so hübsch ist, oder weil meinereiner’s Geburtstag und Hochzeitstag in diesen Monat fallen, nein: es ist auch der Monat, in dem meine königsblauen Helden erstmals seit Jahrzehnten von einem Trainer nach meinem Geschmack geführt werden, der Monat, in dem sie ausschliesslich Siege einfahren werden. Dieses Jahr, jedenfalls.
Damit das auch ganz bestimmt klappt, haben wir Karten für den Auswärtssieg bei den Bayern besorgt, denn erstens wird dies der letzte Bundesliga-Sieg im Olympiastadion werden – die Bayern werden es danach abfackeln und in die Allianz-Arena umziehen - und zweitens wird es Zeit, dass wir unsere Serie erweitern: Die letzten zehn Auswärtsspiele, bei denen wir dabei waren, endeten ohne Niederlage, mit nur einem Unentschieden – beim bedeutungslosen, aber sehr lustigen, 34.Spieltag in Wolfsburg letzte Saison, ein Ausrutscher sozusagen, und neun Siegen.
Mein Griechisches Weib (die „Europameisterin“) fliegt am Freitag zur Arbeit nach München, während ich mich aus dem selben Grund schon einen Tag vorher aufmache, nach Stuttgart. Dort treffe ich abends Freunde im „Trollinger“, und zu meiner Überraschung sitzt da auch Timo Hildebrand, der Keeper des VfB. Offenbar ein ganz netter Kerl – natürlich nur, solange er nicht in diesem falschfarbenen Trikot auf dem Platz steht. Seine Schwaben bekommen es an diesem Wochenende mit unseren Nachbarn im Nahen Osten zu tun. Eigentlich ist es mir egal, wer gewinnt. Dass beide verlieren, das geht ja leider nicht.
Vor der Weiterfahrt nach München dann, überfalle ich so früh wie’s geht die Stuttgarter Staatsgalerie. Die liegt anders als die Schalker Arena nicht an der Adenauer-Allee, sondern an der Adenauer-Strasse, und ist, muss man sagen: deutlich sehenswerter.
Im Schalke-Trikot errege ich an solchem Ort natürlich etwas Aufsehen. Der übliche Extra-Security-Mann nimmt in sicherem Abstand hinter mir Position, und wird mir wie zufällig durch die Gänge folgen. An der Information frage ich nach der Ausleih-Liste – „Was für eine Liste?“, „Die Liste, auf der verzeichnet steht, welche Gemälde ihrer Sammlung momentan ausgeliehen sind, und deshalb fehlen“ antworte ich. Zu oft schon stand ich in nach Entrichtung des Eintritts (hier: 7€) nachher vor einer leeren Wand statt vor dem erhofften Ziel der Reise. „Danach hat noch nie jemand gefragt ! Und ich bin schon ewig hier !!“ meint die Dame, und der Wyatt-Earp-Typ hinter mir greift präventiv, nein: nicht zur Waffe, sondern zum Funkgerät. Der Hooligan scheint Ärger zu machen, aber er hat recht, und die nie zuvor ausgepackte Liste kommt an’s Tageslicht.
Ok, alle da: Franz Marc, Otto Dix, Holbein d.Ä.. Schade, dass sie nicht ablösefrei sind. Unverkäuflich sogar. Vor einem besonders hübschen und ziemlich grossen Oskar Schlemmer bleibe ich stehen, frage den Sheriff, was wohl passieren würde, wenn ich das Ding jetzt von der Wand holte und durch diese Tür da ins Freie ginge. „Alarm“ und „Geht nicht“ presst er heraus, jetzt noch nervöser. Würde sowieso nicht in den Kofferraum passen, ´hätte eh keine Wand frei zuhause, verboten isses zudem, und es wär ja reichlich ungeschickt, sowas im Trikot zu tun, auf dem fett mein Name prangt.
Ohne zusätzliches Gewicht im Wagen, das die Fahreigenschaften des silbernen Geschosses negativ beeinflussen könnte, geht es also auf die A8 nach München. Während im Radio unablässig über’s schlechte Wetter gejammert wird, rolle ich fast konstant im Sonnenschein dahin. Ein gutes Omen.
Die beste Ehefrau von Allen wartet schon, draussen in Riem, und als sie in ihrem Wilmots-Trikot neben mir sitzt, sind wir endlich bereit zur Erstürmung der Bayern-Behausung. Schlau wie ich bin, will ich diesmal im Süden parken, an der Ackermannstrasse. Von da ist’s nur ein kurzer Marsch durch den Olympia-Park. Blöd wie ich bin, ist mir entgangen, dass der Parkplatz dort nicht für PKW geöffnet ist. Und nicht nur der Parkplatz, sondern die ganze Strasse ist zugestellt von Reisebussen aus ganz Süddeutschland, aus Österreich und der Schweiz. Da stehen sie und spucken Horden von Bayernfans auf den Gehsteig. Egal, da müssen wir jetzt durch. Die bayowarische Rakete wird kreativ geparkt und dann laufen wir durch die Menge hindurch. Wie Moses einst das rote Meer, so teile ich jetzt die rote Masse. Gut, dass diese Südeuropäer alle einen Kopf kleiner sind als ich. Die hellenische Heldin folgt in meinem Windschatten und so erreichen wir nur minimal angepöbelt („Schau-a-moi ! Ruabodd-ganaggn sanns!“) das Olympiastadion.
Das sieht hier alles so mondän, so ordentlich und hübsch aus, da kommt kaum Eroberungs-Stimmung auf, wie sie bei der Erstürmung von dunklen Trutzburgen a la Westfalenstadion doch so angenehm im Adrenalin zu spüren ist. Im Biergarten, am Franziskaner-Stand, bemühen sich dennoch eine Handvoll Schalker in der Zelebrierung von Schlachtgesängen, meist ganz nett, aber dann gleiten sie ab in’s U-Bahn-Lied, zufällig als ich gerade mit meiner leckeren 3€ Bratwurst mit Überlänge vorbei schlendere. Gesegnet mit absoluter Abneigung gegen nonverbale Konfrontation würde ich wohl feige davon schleichen, aber da vor mir steht so ein vielleicht 20jähriges Milchgesicht und blärrt die unerträglichen Zeilen, die es wohl selbst kaum versteht – und zu meiner Überraschung höre ich mich sagen: „Echte Schalker haben doch bestimmt was Besseres drauf als diese Nazi-Scheisse, oder?“. Ich bin noch verblüffter als er über diese Bemerkung, aber sie wirkt. Als ich weitergehe begleitet mich der neue Gesang: „Ihr seid Scheisse, wie der BVB“. Naja. Ein Teil-Erfolg, immerhin...
Jetzt geht’s durch die Kontrolle am Nordeingang. Massen stehen an, grosse Schilder weissen darauf hin, dass Frauen sich in einem gesonderten Bereich in der Mitte befummeln lassen dürfen. Die meisten Exemplare des schöneren Geschlechts stehen allerdings lange in der falschen Schlange an, sicher weil sie von ihren vergötterten Mannsbildern nicht lassen können (Ein-bildung ist auch eine Solche). Ein kleiner Bayern-Opa neben mir schaut zu mir hoch und fragt „seids extra weger´ dem Spüi herunten, oder ?“ – ja, schon, genauer gesagt, „weger´ dem Auswärtssieg!“ antworte ich, und er lacht. Aber nicht mehr lange.
Das Abtasten geschieht ordentlich, man findet weder Waffen noch entwendete Kunstgegenstände, die ich als Wurfgeschosse nutzen könnte, und dann geht es vorbei an mehreren Leckereiständen, jeder Menge Reklame und sturen und offenbar nur zu Grunzlauten fähigen Ordnern zum Block. Wir haben Sitzplätze, wie immer, drüben in E1, in der untersten Reihe der vom Fanclub-Verband angebotenen Karten. Da sitzt man sieben Zentimeter näher am Feld, aber das entfernte Tor scheint trotzdem irgendwo bei Sibirien zu stehen.
Das Spiel beginnt und es wird angenehm sonnig. Und hell - so ein Stadion ohne Dach ist doch was Feines. Da drüben auf der Gegengeraden sitzen die armen Schweine – sicher irgendwelche Penner, die vom Fanbeauftragten der Bayern in der Kaufingerstrasse (der Fussgängerzone zwischen Marienplatz und Stachus, da beim McDonalds mit dem unglaublichsten Capuccino der Welt. Frechheit!) aufgelesen werden und die sich für ein paar Kröten und eine warme Brezel weisse Ganzkörper-Kondome anlegen, an vorgegebenen Orten platz nehmen und so das Logo der Telekom nachbilden. Für Geld tun die hier wohl alles.
Zwischen uns und dem Gästestehblock werden massenweise Kinder in geschenkten rot-weissen Fan-Utensilien und Telekom-Werbematerial eingekerkert. Man hat ihnen wohl gesagt, sie müssten hier bleiben, wenn sie nicht immer wieder mal mit hohen Stimmchen „BAYERN!“ schreien würden. Gibt’s hier kein Jugendamt?
Aber es gibt auch richtige Bayern-Fans. Viele sogar. Sicher mehr als Dortmunder im Westfalenstadion. Ob die aber Stimmung machen, das ist nicht festzustellen, denn offenbar gibt es für die Reichweite von Schallwellen eine physikalische Grenze, die irgendwo am Mittelkreis endet. Nur die Verzweifelten um uns herum in ihren lustigen Filzhüten oder Makaay-Trikots, die kann man hören. Fluchen nämlich.
Die Schalker sehen nicht nur besser aus, sind fröhlicher und sowieso die besseren Menschen, nein, sie spielen auch viel besser Fussball. Nicht so gut wie erwartet, aber allemal gut genug für den FC Bayern in seiner „Wir-stürmen-an-die-Spitze“-Form. Hinter mir werden immer wieder die übelsten Flüche auf den neuen Bayern-Trainer laut. Manchmal erröte ich beinahe, und ich bin einiges gewohnt, sitze in der Schalke-Arena in der Nähe von einem Schalker Pendant, der ebenso wie dieser Bayer hier bei jeder missglückten Aktion direkt vom Auge aus, ohne Umweg über’s Hirn, Flüche durch den aufgerissenen Rachen hinaus blärrt.
Der Junge tut mir leid. Die Angst frisst ihn auf, die Verzweiflung lässt ihn nicht mehr los. Das hat man davon, wenn man den Seriensieger vergöttert: Wo andere zufrieden sind, da herrscht hier masslose Enttäuschung. Als der arme Kerl wieder mal über Magath herzieht, da tröste ich ihn: „Der ist doch bloss hier, damit er den Hoeness beerben kann. Als Manager taugt er was, wirst schon sehen. Nur zwei Scheiss-Saisons und ihr seid ihn wieder los, also keine Panik.“ Das hilft erstaunlicherweise nicht wirklich, und die Depression ist schon so tief, da wird Asamoah’s Siegtor kaum noch wahrgenommen.
Von uns schon. Ich hatte mir schon Sorgen gemacht, mich vom sicher geglaubten Kantersieg schon verabschiedet, springe und hüpfe und umarme meine siegreiche Europameisterin und den Zwerg auf der anderen Seite, der zum grossen Ärger seines Bayern-Papa schon dauernd die „Ole-Ole-Schalke04“-Gesänge aus dem blauen Block mitgeträllert hatte. Geschmack gibt’s halt auch im kleinsten Kopf.
Ah, göttlich. Zwar fallen keine weiteren Tore mehr, aber der Nachmittag wird perfekt gemacht durch Salihamidzic. Diese schwache Kopie des hinterfotzigen und gottseidank endlich ausgemusterten Hollerbach macht sich durch mehrere Ballverluste und Stolperer selbst zum Narren dass es endlich mal eine wahre Freude ist, ihm zuzusehen. Wunderbar.
Der Sieg ist unser. War ja vorher schon klar, aber wir freuen uns doch sehr, schon, weil’s 55.000 andere hier nicht tun. Die Mannschaft rennt über die auf der Tartanbahn ausgelegten Blockfahnen, die zur Halbzeit schon von windigen Mountainbikern beschmutzt worden waren (na, wartet! Wir kennen eure Namen!), sie feiert ein bisschen mit uns und dann ziehen wir hinaus in die schubsende Menge.
Die Bayern-Fans sind immer noch zum allergrössten Teil nett und friedlich, und viele sind nichtmal besonders enttäuscht. Der Magath halt, der ist Schuld. War ja klar. Im Gedränge geht’s hinaus über die idyllischen Hügel des Olympiaparks und wieder vorbei an den geparkten Bussen, die die geschlagene Brut zurück in ihr Leben bringen werden.
Wir hissen derweil die schon arg zerfledderte Fahne am Beifahrerfenster und lenken das stählerne Ross hinaus zur A9, direkt in den Stau. Es dauert, bis wir uns zusammen mit fröhlich feiernden motorisierten Blau-Weissen aus Gelsenkirchen, Bochum, Essen, Recklinghausen, Nürnberg undundund in die Baustelle an der Allianz-Arena vorgekämpft haben.
Da steht das riesige neue Stadion der Bayern, gigantisch, die Luftpolster werden gerade noch angebracht, von innen mit Gas gefüllt und beleuchtbar – ein Traum für einen Werbegrafiker, na klar – an den noch unverkleideten Stellen sieht man das monumentale Stahlgerüst mit Treppenaufgängen in drei Ebenen. Oh, das wird einfach grossartig, hier demnächst den Bayern den Gar auszumachen. Deren Fans allerdings, die hatten schon während des heutigen Spiels die Nase voll von den geplanten „Steh/Sitzplatz-Kombinationen“. Mal gespannt, ob die Jungs sich durchsetzen können gegen König Kommerz.
Bei Manching zerlegt’s ein paar Meter vor uns zwei Autos und wir haben Glück, kommen heil davon und hören die nächsten Stunden vom wachsenden Stau hinter uns. Es beginnt zu regnen, wird ratzeduster, und nur vereinzelt sehen wir noch Schalker und ein paar Busse mit weinenden Geschlagenen. Uns kann nichtmal die miserable Frikadelle an einer Tankstelle die Laune verderben. Immer noch fröhlich erreichen wir deutlich nach Mitternacht Rheinland und Zuhause, prüfen, ob der Videorekorder den historischen letzten Auswärtssieg im Olympiastadion aufgezeichnet hat und verziehen uns in’s warme Nest. In ein paar Stunden steht das nächste Match auf dem Plan: Die Schalker B-Jugend beim Rheydter SV. Und auch da kann das Motto nur lauten:
Auswärtssieg !