Die schleichende Entwertung der Marke
mo. Warum ist Borussia Mönchengladbach so beliebt? Der Verein lebt von seiner Tradition. Glorifiziert wird er von den Fans als "Mythos". Entwickelt sich eine Marke zum Mythos, dann sind die Voraussetzungen optimal. Aber was ist, wenn der Mythos nicht das hält was er verspricht? Die schleichende Entwertung der Marke beginnt.
Neues Stadion, neuer Trainer und neues Glück? Mit viel Glanz und Gloria zog Borussia Mönchengladbach im letzten Jahr um. Keine Frage: Der sicherlich reizvolle Bökelberg hatte ausgedient. Ein Bundesligist braucht ein vernünftiges Stadion. Fakt ist, dass die Voraussetzungen mit dem neuen Stadion stimmen. Und Borussia packt an. Marketing- und Presseabteilung wurden aufgestockt. Die Mitgliederzahl wächst, ein neuer Hauptsponsor heuerte beim Verein an und die Business-Lounge erfreut sich in Mönchengladbach wachsender Beliebtheit und wird außerhalb der Spielzeit immer öfter gebucht. Die Sportsbar lockt die Fans, die Fanshops machen ihren Umsatz und ein neues Hochglanz-Magazin, kurz "gladbach**" genannt, entzückt die betuchte Klientel. Die Zuschauerauslastung ist - gemessen am sportlichen Erfolg auf dem grünen Rasen - phänomenal. Kurzum: Das Geld fließt. Borussia kann sich neu aufstellen und in der Tat andere Ziele anpeilen, weil nun die Rahmenbedingungen stimmen. Schöne neue VfL-Welt!
Aber was stimmt nicht? Warum entwertet sich die Marke, wo doch gerade jetzt verkaufstechnisch alles im grünen Bereich liegt und die "Marke Borussia" endlich vernünftig an den Mann gebracht werden kann? Der Mythos müsste sich eigentlich zum Verkaufsschlager entwickeln!
Die Gründe für die schleichende Entwertung der Marke:
1. Mehr Schein, weniger Sein
Die Rahmenbedingungen stehen. Die Zielsetzung ist klar. Borussia will zurück an die Spitze und ins internationale Geschäft. Die Rahmenbedingungen mit Stadion, Marketing und Support gehört zur Bundesligaspitze. Und so gibt sich der Verein. Er denkt in größeren Dimensionen. Es ist aber mehr Schein als Sein, denn zwischen Anspruch und Wirklichkeit klaffen Welten. Die sportliche Abteilung, nun einmal das A und O eines professionellen Fußballclubs, hinkt meilenweit hinterher. Ein Klub der Arbeiter, der "einfachen Leute", mit einer einfachen Zielsetzung. Bodenständig. Das Establishment spielte in München und liebte die Bayern. Sympathieträger war aber der kleine Verein am Niederrhein. Und jetzt? Jetzt will Borussia "Bayern München" sein. Es sieht nach mehr aus, als es tatsächlich ist. Mit einem neuen Stadion und neuen Vermarktungsmöglichkeiten gibt es neue Ziele. Aber Anspruch und Realität sollten nicht divergieren. Ein Weltklub wie Bayern wird Borussia Mönchengladbach nie sein. Wenn man zu schnell zu viel will, verpflichtet man einen international renommierten Trainer und verpflichtet sieben neue Spieler in der Winterpause.
2. Mehr Advocaat, weniger Tradition
Die Tradition spielt bei Borussia eine außerordentlich wichtige Rolle. Die Tradition bindet Fans. Die Tradition hat für den Verein den größten Nutzwert. Der Mythos ist Teil dieser Tradition. Die Tradition gibt dem Verein die Identität. Traditionen muss man allerdings pflegen. Tradition verpflichtet auch. Die Bilder in der Sportsbar, der Fanshop oder die "alten Borussen", die nach wie vor im Borussia-Park ein und aus gehen, zeugen von dieser Tradition. Der Verein ist sich dessen durchaus bewusst, aber er handelt nicht danach. Die Verpflichtung von Dick Advocaat ist ein Schlag ins Gesicht für VfL -Traditionalisten. Wo Angriffsfußball die Marke Borussia in den 70er Jahren implementierte, ist der Holländer ein Verfechter des ergebnisorientierten Fußballs. "Wer schönen Fußball sehen will, soll zu den Amateuren gehen", fertigte Advocaat nach dem Wolfsburg-Spiel einen Journalisten brüsk ab. Für die vielen Fans, die für die Spiele seiner Mannschaft viel Geld bezahlen, ist diese Aussage schlichtweg eine Unverschämtheit. Klar, die Fans wollen Siege sehen, aber wenn die Mannschaft kämpft und schönen Fußball zeigt, dann verkraften sie auch Niederlagen. Advocaat passt nicht in die gute alte VfL-Tradition hinein. Köppel hätte gepasst, doch genau hier liegt der Unterschied. Der neue VfL setzt andere Prioritäten. Entscheidend ist nicht, ob der Trainer zum Verein passt, sondern die internationale Erfahrung, der Ruf von Welt. Mönchengladbach international.
Zum ersten Mal wurde ein ausländischer Trainer verpflichtet.
Und es geht weiter. Neue Spieler wurden geholt. Fertige Spieler, keine Fohlen. Spieler, die sich in keinster Weise mit Borussia Mönchengladbach identifizieren können. Müssen sie auch nicht. Sie spielen, um Geld zu verdienen. Aber dann muss auch die Leistung stimmten. Advocaat agiert wie ein Elefant im Porzellanladen. Er zerstört und setzt seine Vorstellungen ohne Rücksicht auf Verluste durch. Hat er als niederländischer Bondscoach übrigens auch gemacht. Borussia ist ein Verein mit Tradition. Eine andere Tradition, die vielleicht PSV Eindhoven oder die Glasgow Rangers, frühere Arbeitsstätten des Niederländers, besitzen. Dort gehört vielleicht der Erfolg zur Tradition. Borussia Mönchengladbach muss mehr zu bieten haben als Erfolg. Wäre der Erfolg ausschlaggebend, dann hätte der Verein heute nicht mehr so viele Fans. Also ist es die Identität des Vereins, das Vereinsleben, das Sympathie bringt. Die Modelle "PSV" und "Rangers" sind ähnlich, womöglich austauschbar. Das Modell "Borussia" in Mönchengladbach ist es nicht.
3. Mehr Verschlossenheit, weniger Transparenz
Die Öffentlichkeitsarbeit des Niederländers ist anachronistisch. In einer Zeit, wo Medien eine dominierende Rolle innerhalb der Gesellschaftsstruktur einnehmen, verschließt Borussia sich. In einer Zeit, wo Transparenz überall gefordert wird, schlägt Advocaat die Türen zu - und der Verein duldet es! Die Spieler machen es mittlerweile nicht anders. Sie igeln sich ein. Keiner sagt etwas. Der Kontakt zur Basis bricht ab. Die Medien, das Bindeglied zwischen Fan und Spieler, zwischen Fan und Verein, verkümmert, wird ignoriert. Fehlende Kommunikationsbereitschaft entwertet die Marke. Borussia gibt die Möglichkeit aus der Hand, die Medien zu steuern. Transparenz und Offenheit fördert die Zusammenarbeit und bindet die Medien. Je verschlossener ein Verein ist, desto größer ist der Handlungsspielraum aller Akteure im Medienbereich. Bei Hans Meyer war es ähnlich, hatte aber eher aufgrund persönlicher Differenzen mit einem Medium seinen Ursprung. Advocaat schließt die Medien kategorisch aus. Pressekonferenzen nur vor und nach dem Spiel. Und dann bleiben die Antworten oberflächlich und inhaltsleer. Das ist nicht professionell. So ganz nebenbei: Bei Bayern München findet jeden Tag eine Pressekonferenz statt.
Zusammenfassung:
Das neue Stadion, die neuen Spieler und der neue Trainer haben Hoffnungen geweckt. Die Erwartungshaltung ist riesengroß (gewesen). Das spült Geld in die Kassen, ist aber auch ein Handicap, wenn der sportliche Erfolg ausbleibt. In so einer Phase ist es schwierig, langfristig Ziele auszugeben, weil der Fan kurzfristige Erfolge haben will. Das neue Umfeld weckt Begehrlichkeiten. Der Verein befindet sich in einer sehr schwierigen Phase. Die "Marke" wird entwertet, weil der sportliche Erfolg fehlt und Begehrlichkeiten nicht befriedigt werden. Dazu kommt eine schleichende Entwertung durch fehlende Transparenz. Die Leidtragenden sind nicht nur die Medien, sondern letztendlich auch die Fans als Konsumenten."Es ist nicht mehr mein Verein" - ein Spruch, der vielleicht noch nicht oft über die Lippen eines Fans geht, aber: Eine Entwicklung, die möglich ist! Das neue Stadion, der neue Trainer und die neue Philosophie der Verschlossenheit haben den Verein verändert und mit Traditionen gebrochen. Einiges war notwendig, anderes nicht. und nicht jeder kann sich mit der neuen Borussia noch identifizieren. Die "Marke" ist dabei, sich selbst zu entwerten, hat sich aber - so viel ist sicher - noch längst nicht ENTWERTET. Etwas mehr Bodenständigkeit, etwas mehr Traditionsbewusstsein und mehr Transparenz - dann kommen die Erfolge fast ganz von alleine.
Quelle:
http://www.stadt-spiegel-moenchengladbach.de/pages/99_moen_bor.jsp?id=44866