Leserunde Die Zeuginnen - Dritter Abschnitt

FrauE

Babbel !
Abschnitt drei Kapitel 25 bis Ende Kapitel 34. Ich würde sagen, bis Samstag, 11. Juni
 

FrauE

Babbel !
Ich bin nun im dritten Abschnitt und es wird immer interessanter mit den drei Figuren. Erschütternd finde ich das wirklich frühe Verheiraten der Mädchen. Agnes ist jetzt dreizehn Jahre alt und wird begutachtet, wie eine Zuchtkuh inkl. Zähne zeigen. Diese Szene fand ich wieder typisch für das beschriebene Frauenbild. Immerhin "darf" sie zwischen drei Männern wählen, was ja fast schon ein stück Freiheit bedeutet.

Daisy muss in meinen Augen gerade schnell erwachsen werden durch den Tod ihrer Zieheltern und dass sie die kleine Nicole ist. Ihr wird da viel aufgebürdet und abverlangt.

Was Tante Lydia alles veranstaltet, um an die Macht zu kommen, die sie am Ende hat, wird nun auch immer klarer durch die Rückblicke. Wenn ich das lese, steht bei mir auch immer die Frage im Raum: Wie weit wäre man selbst bereit alles zu tun, um selbst irgendwie zu überleben und zu bestehen in so einem menschenverachtendem System? Wenn mit so einer Strategie gearbeitet wird, die Leute in Angst und Schrecken zu versetzen - wie viel Widerstand regt sich dann? Eher wenig, glaube ich und deswegen hat meiner Meinung nach das dritte Reich so super funktioniert erstmal...
 

FCK-Fan-Simone

Lehrerin und Mutter
Teammitglied
Fertig mit Abschnitt 3.

Tante Vidala will Elisabeth und Lydia was anhängen. Man erfährt jetzt auch am Beispiel von Becka, wie man Tante werden kann. (Ob Beckas Vater sie missbraucht hat?) Diese Ereignisse waren vor 9 Jahren, somit kann Agnes eigentlich nicht die Mutter der kleinen Nicole sein.
Die Perlenmädchen sind also Anwärterinnen für Tanten. Ob Becka vielleicht Tante Adrianna wird?

Interessant an Atwoods Schreibstil finde ich, dass Lydia manchmal Fragen an sich stellt und diese dann selbst beantwortet. "War ich stolz auf mich?" "Ja, auch das." Diese Phasen in Lydias Leben - Dankschule, 3 Tage Hotel, Prüfung...sehr extrem das alles! Ich kann mir gut vorstellen, dass man nach der Erholung im Hotel alles getan hätte, um nicht zurück in den Schmutz, die Einzelhaft und die angedeuteten noch schlimmeren Strafen zu müssen. Auch dass es angeblich Platzpatronen gab und man sich einreden konnte, dass man nicht zwangsweise zur Mörderin wird, hat wohl dazu beigetragen, das mitzumachen.
Diese Konferenzen waren sehr interessant, wie Lydia mit ihrer Forderung nach Eigenständigkeit der leitenden Frauen zur Chefin wurde.

Das spannendste geschah aber in Kanada: Hammer, diese Sache mit dem Maulwurf und dass Daisy nach Gilead einreisen soll! Das ist wirklich sehr fesselnd, weshalb ich bald weiterlesen will!
 

FrauE

Babbel !
Beckas Furcht vor der Ehe und ihr Versuch, sich mit der Blumenschere tödlich zu verletzen, ist auch ein kleiner Schlüsselmoment im dritten Abschnitt. Tante Lydia bekommt so eine sehr dankbare Marionette, die sie wohl zu ihren Zwecken nutzen wird.
 

Malou

Nicht gut mit Worten
"Tante Gabbana" ist ja mal ein cooler Name. Dafür, dass sie so gegen Eitelkeiten sind, greifen sie bei ihren Tantennamen aber auf interessante Varianten zurück.

Die Vor-Hochzeitsphase ist gruselig, jegliche Selbstbestimmung ist genommen. Das war in ihrer Kindheit natürlich auch schon so, aber nun ist es doch noch gravierender und sie ist sich dessen mehr bewusst. Dann kommt das Grün des Kleides auf dem Einband von dieser Vorhochzeitskleidung, nehme ich an? - Die Sachen, die sie in dieser Bräuteschule lernen, finde ich teilweise gar nicht übel - unabhängig von der Situation jetzt. Davon könnte man ruhig auch einiges an den Schulen unterrichten. Und beim Blumenarrangieren musste ich lächeln, ich habe eine britische Bekannte, deren Mutter da wohl eine Meisterin drin war und irgendwann zu denen gehörte, welche die Arrangements in der Kirche für Princess Margarets Hochzeit machen durften. Das war wohl ein sehr großer Moment für sie, was ich immer so herrlich britisch fand.

Shunammite nervt immer noch, aber Becka ist sehr eindringlich in ihrer furchtbaren Angst. Hier finde ich es gut, daß uns nicht alles auf dem Silbertablett serviert wird, man erahnt, was sie Furchtbares erlebt hat und dadurch wirkt es noch Furchtbarer, als wenn es detailliert erklärt würde.
Nun bekommt sie also einen Ausweg (wenn man es denn so nennen kann), wenn auch nicht aus Menschenfreundlichkeit, sondern damit sie nicht irgendwann vom Deckenbalken hängt. Was für ein Leben.

Unabhängig von dem grauenvollen Zusammenhang musste ich dann doch schmunzeln, als Lydia sagte: "Penisse. Die schon wieder", und dass die Gedankenexperiment-Penisse außer Kontrolle geraten und ein Eigenleben annehmen konnten. Ich sah vor meinem geistigen Auge ein fröhliches Penisballet. Wie gesagt, unabhängig vom Zusammenhang, einfach wegen der Formulierungen.

Lydias Abschnitt war zwar nützlich, um ihre innere Entwicklung zu zeigen, aber doch etwas langweilig. Diese ganzen ideologischen Unterhaltungen gehen mir etwas auf die Nerven. Und findet noch jemand diese Ei- und Orangen-Opfergaben etwas skurril?

Daisys Abschnitt - auch nicht so ganz mein Fall, was aber auch daran liegt, dass mich Spionageschichten einfach nicht reizen. Das war alles nicht so mein Fall. Aber ich bin gespannt, was sie da nun einschmuggelt, das eine solche Sprengkraft hat. Aus dem Nachwort von Buch 1 wissen wir, dass Gilead keinen Bestand hat, ob es schon jetzt passiert?

Ha, und Republik von Texas, da habe ich sehr gelacht. Ja, das wären sie gerne, das hat Atwood gut gewählt. Wobei, wenn es einen Staat wie Gilead in den USA gäbe, dann wäre Texas sicher ganz vorne mit dabei.

Der lange Arm Gileads - Geflohene werden entführt oder umgebracht. Erinnert an Russland oder Belarus. Die DDR war auch recht gut darin.
 
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Malou

Nicht gut mit Worten
Was Tante Lydia alles veranstaltet, um an die Macht zu kommen, die sie am Ende hat, wird nun auch immer klarer durch die Rückblicke. Wenn ich das lese, steht bei mir auch immer die Frage im Raum: Wie weit wäre man selbst bereit alles zu tun, um selbst irgendwie zu überleben und zu bestehen in so einem menschenverachtendem System? Wenn mit so einer Strategie gearbeitet wird, die Leute in Angst und Schrecken zu versetzen - wie viel Widerstand regt sich dann? Eher wenig, glaube ich und deswegen hat meiner Meinung nach das dritte Reich so super funktioniert erstmal...
Das habe ich mich beim Lesen auch gefragt. Wenn man derart misshandelt und gebrochen wird und weiß, man hat nur die Wahl zwischen Kollaboration und Tod, dann überlegen die meisten nicht lange. Wobei sie sich ja nicht nur zum Überleben anpasst, sondern sich gleich mehr Macht sichert. Ein wenig scheint sie Macht zu genießen, das macht sie unangenehm.
Ja, die Unterdrückung durch Angst funktioniert in menschenverachtenden Diktaturen immer gut. Die Nazis haben ja schon vor Anfang an (und schon vor ihrer Machtergreifung) gezeigt, dass sie alle, die sie als Gegner betrachten, brutal vernichten. Deshalb bewundere ich Leute, die trotzdem Widerstand leisteten - ein unglaublicher Mut. ich las ein sehr gutes Buch über Bonhoeffer, da wurde diese ständige grausige Bedrohung nur zu deutlich.

Womit sie aber auch immer arbeiten sind diejenigen, die vorher nichts auf die Reihe bekommen haben und jetzt ihre Chance sehen. Ganz verachtungswürdig, diese Leute, die dann ihre Möglichkeit sehen, sich zu erhöhen, indem sie andere drangsalieren. Sieht man ja auch gut an vielen Trump- oder AfD-Anhängern, oder früher an Leuten, die plötzlich durch Prügeln und Unterdrücken Karriere machen konnten. Solche Regimes können eben leider psychologisch geschickt an verschiedenen Punkten ansetzen.
 

Malou

Nicht gut mit Worten
(Ob Beckas Vater sie missbraucht hat?)
Da bin ich leider ziemlich sicher. So sehr, wie die Mädchen sonst überwacht werden, hätte fast nur er die Möglichkeit dazu, und dass er davor nicht zurückschreckt, wissen wir ja durch Agnes' Erlebnis. Drecksack.
Auch dass es angeblich Platzpatronen gab und man sich einreden konnte, dass man nicht zwangsweise zur Mörderin wird, hat wohl dazu beigetragen, das mitzumachen.
Das ist bei der Todesstrafe in den USA auch so. Bei der Todesspritze gibt es drei Leute, die jeweils auf einen Knopf drücken, um den Mordvorgang in Gang zu setzen. Niemand weiß, wessen Knopf dann wirklich den Vorgang in Gang setzt.
 

FCK-Fan-Simone

Lehrerin und Mutter
Teammitglied
Womit sie aber auch immer arbeiten sind diejenigen, die vorher nichts auf die Reihe bekommen haben und jetzt ihre Chance sehen. Ganz verachtungswürdig, diese Leute, die dann ihre Möglichkeit sehen, sich zu erhöhen, indem sie andere drangsalieren. Sieht man ja auch gut an vielen Trump- oder AfD-Anhängern, oder früher an Leuten, die plötzlich durch Prügeln und Unterdrücken Karriere machen konnten. Solche Regimes können eben leider psychologisch geschickt an verschiedenen Punkten ansetzen.
Ein wichtiger Punkt, das hast du schön ausgeführt 👍
 

FCK-Fan-Simone

Lehrerin und Mutter
Teammitglied
Da bin ich leider ziemlich sicher. So sehr, wie die Mädchen sonst überwacht werden, hätte fast nur er die Möglichkeit dazu, und dass er davor nicht zurückschreckt, wissen wir ja durch Agnes' Erlebnis. Drecksack.
Allerdings :frown:
Das ist bei der Todesstrafe in den USA auch so. Bei der Todesspritze gibt es drei Leute, die jeweils auf einen Knopf drücken, um den Mordvorgang in Gang zu setzen. Niemand weiß, wessen Knopf dann wirklich den Vorgang in Gang setzt.
Gut zu wissen.
 

FCK-Fan-Simone

Lehrerin und Mutter
Teammitglied
Die Vor-Hochzeitsphase ist gruselig, jegliche Selbstbestimmung ist genommen. Das war in ihrer Kindheit natürlich auch schon so, aber nun ist es doch noch gravierender und sie ist sich dessen mehr bewusst. Dann kommt das Grün des Kleides auf dem Einband von dieser Vorhochzeitskleidung, nehme ich an? - Die Sachen, die sie in dieser Bräuteschule lernen, finde ich teilweise gar nicht übel - unabhängig von der Situation jetzt. Davon könnte man ruhig auch einiges an den Schulen unterrichten.
Ja, würde sicher nicht schaden.
Shunammite nervt immer noch, aber Becka ist sehr eindringlich in ihrer furchtbaren Angst. Hier finde ich es gut, daß uns nicht alles auf dem Silbertablett serviert wird, man erahnt, was sie Furchtbares erlebt hat und dadurch wirkt es noch Furchtbarer, als wenn es detailliert erklärt würde.
Nun bekommt sie also einen Ausweg (wenn man es denn so nennen kann), wenn auch nicht aus Menschenfreundlichkeit, sondern damit sie nicht irgendwann vom Deckenbalken hängt. Was für ein Leben.
Frauen sind Ressourcen und müssen bestmöglich verwendet werden. Im Falle von Becka ist das die beste Möglichkeit.
Und findet noch jemand diese Ei- und Orangen-Opfergaben etwas skurril?
Ja, schon.
 

Talion

!!! Swiftie aus Überzeugung !!!
Ich bin mir nicht sicher, ob ich meinen Eindruck zu dem Fortgang der Geschichte wirklich schreiben soll, ich will Euch den Spaß bzw. die Begeisterung ja nicht nehmen. Mich hat das Buch leider verloren.
Nur 4 Worte.
Gnadenlos unglaubwürdig und unlogisch.
 

Malou

Nicht gut mit Worten
Frauen sind Ressourcen und müssen bestmöglich verwendet werden. Im Falle von Becka ist das die beste Möglichkeit.
Ja, so meinte ich es, also dass sie verhindern wollen, dass sie sich umbringt, weil sie noch von Nutzen ist, ich habe das aber nicht so gut geschrieben. Du hast es wesentlich prägnanter und treffender ausgedrückt.

Tja, Human Resources - die völlig akzeptierte Bezeichnung für das Personalwesen, und das nicht in Diktaturen. Ich fand den Begriff immer schon schrecklich. Aber gut, das hat mit dem Buch jetzt nichts zu tun.

Ich war bei Becka einfach überrascht, dass sie sie nicht zwingen - die Mägde werden auch gezwungen, aus deren Zimmer hat man ja alles entfernt, womit sie sich suizidieren könnten. Da könnte man sicher auch eine Ehefrau ohne zu großen Aufwand überwachen, so viel Bewegungsfreiheit haben die ja auch nicht, und ich hätte gedacht, das wäre es ihnen wert, da Becka ja immerhin fruchtbar sein könnte und sie diese Chance nicht ungenutzt lassen würden.
 

FCK-Fan-Simone

Lehrerin und Mutter
Teammitglied
Ich bin mir nicht sicher, ob ich meinen Eindruck zu dem Fortgang der Geschichte wirklich schreiben soll, ich will Euch den Spaß bzw. die Begeisterung ja nicht nehmen. Mich hat das Buch leider verloren.
Nur 4 Worte.
Gnadenlos unglaubwürdig und unlogisch.
Also mich würde es interessieren, was genau du unglaubwürdig und unlogisch findest. Das bereichert doch die Diskussion. Ich versuche auch nicht, dich zu überzeugen, wie toll das Buch ist. Versprochen 😉
 

FCK-Fan-Simone

Lehrerin und Mutter
Teammitglied
Ja, so meinte ich es, also dass sie verhindern wollen, dass sie sich umbringt, weil sie noch von Nutzen ist, ich habe das aber nicht so gut geschrieben. Du hast es wesentlich prägnanter und treffender ausgedrückt.
Danke 😊
Tja, Human Resources - die völlig akzeptierte Bezeichnung für das Personalwesen, und das nicht in Diktaturen. Ich fand den Begriff immer schon schrecklich. Aber gut, das hat mit dem Buch jetzt nichts zu tun.
Stimmt aber, das ist durchaus eine fragwürdige Bezeichnung.
Ich war bei Becka einfach überrascht, dass sie sie nicht zwingen - die Mägde werden auch gezwungen, aus deren Zimmer hat man ja alles entfernt, womit sie sich suizidieren könnten. Da könnte man sicher auch eine Ehefrau ohne zu großen Aufwand überwachen, so viel Bewegungsfreiheit haben die ja auch nicht, und ich hätte gedacht, das wäre es ihnen wert, da Becka ja immerhin fruchtbar sein könnte und sie diese Chance nicht ungenutzt lassen würden.
Sie brauchen auch Tantennachwuchs, vielleicht deshalb. Mägde sind ja oft schon in Ungnade gefallen durch Fluchtversuche u.ä., die eignen sich dann nicht als Tante.
 

Talion

!!! Swiftie aus Überzeugung !!!
Die geschilderte Welt ist aus meiner Sicht einfach nicht schlüssig.
Ich habe im ersten Band ja noch darüber hinweggesehen, dass das wertvollste und einzige, was das Überleben eines Staates sichert, derart entrechtet wird wie die gebährfähigen Frauen eben. Logisch erscheint es mir nicht, die einzigen Menschen, die dafür sorgen können, dass der Staat weiter existieren kann, brutal auszubeuten.
Aber gut. Der erste Band beschrieb einen eindringlichen Mikrokosmos einer Person und der allein für sich war schlüssig. Eindringlich, intensiv. Überzeugend. Warnend.
Wie es dazu kam - ergibt keinen Sinn.
Eine kleine Bande fundamentalchristlicher, menschenverachtender Möchtegernputschisten übernimmt in einer gewachsenen Demokratie über Nacht die Macht über 200 Millionen Menschen und die alle fügen sich, sofort? Und haben anscheinend überall in Gilead sofort bewaffnete Kräfte, um das durchzudrücken und jede Menge Tanten, die in ein paar Tagen "Dankfabrik" (das Wort ist allerdings wirklich schön, der Thank Tank statt des Think Tanks) auf Kurs gebracht werden - Richterinnen, die über Nacht zu Mördern werden, weil irgendwelche Leute es ihnen befehlen?
Nee. Sorry.

Einige seltsame Aspekte bei Becka sprach Malou ja eben gerade an.

Ich empfand das Verhalten der Magd in Band 1 als glaubhaft, was aber wohl auch daran lag, dass man einfach alles ausklammerte, was zu diesem Staat führte. Mit den Zeuginnen werde ich nicht warm. Auch wenn das ganze teilweise spannend geschrieben ist, das ist für mich eher Jane Bond als eine Dystopie. Sorry, aber bei mir führte der bisherige Verlauf des Buches nur zu einem massiven Ärgernis.

Der Daisy-Strang entwickelt sich zu Jane Bond, die "Rekrutierung" von Tante Lydia ist zwar spannend zu lesen, aber in meinen Augen komplett unlogisch und unglaubwürdig, weil eben nicht über Nacht Hunderttausende oder Millionen Menschen da sein können, die Kontrollfunktionen ausüben und dass sich anscheinend jeder, ob Frau oder Mann, diesem RegimeChange unterordnet - nee. Nicht so, wie es geschildert ist.


Sorry, aber ich habe so oft beim Lesen gedacht oder sogar gemurmelt "Ja, klar :rolleyes:", wie noch nicht oft bei einem Buch.

Ganz ehrlich. Ich finde dieses Buch einfach nur grottenschlecht. Ganz im Gegensatz zum Report der Magd.
 

Malou

Nicht gut mit Worten
Logisch erscheint es mir nicht, die einzigen Menschen, die dafür sorgen können, dass der Staat weiter existieren kann, brutal auszubeuten.
Du hast das alles gut dargelegt, auch wenn ich manche Sachen anders sehe. Aber es ist schade, dass dir das Buch so wenig gefällt. Kenne ich aber, manchmal klappt es zwischen einem Buch und eine selbst einfach nicht, daran ist dann nichts zu deuteln. Ich habe noch mal meine Gedanken dazu geschrieben, damit will ich dir jetzt deine Meinungen nicht absprechen (klingt wahrscheinlich beim Lesen ein wenig so, weil ich mehrfach widerspreche), sondern nur darlegen, warum ich einen anderen Eindruck habe.

Was den Umgang mit Mägden, Ehefrauen etc. betrifft, finde ich das schon recht schlüssig, wenn man es mit den fundamentalistischen Augen betrachtet (und z.B. mal nach Afghanistan blickt). Sie müssen sie ja irgendwie dazu bringen, Kinder zu bekommen, was nicht alle von sich aus wollen. Genau so funktionieren Diktaturen m.E. - ob man nun Zwangsarbeiter ausbeutet, politische Feinde in Lager steckt, Wissenschaftler entführt und dazu zwingt, ihr Wissen in den Dienst des Staates zu stellen, etc. etc. Was man freiwillig nicht bekommen kann, holt man sich durch Unterdrückung und Gewalt.
Eine kleine Bande fundamentalchristlicher, menschenverachtender Möchtegernputschisten übernimmt in einer gewachsenen Demokratie über Nacht die Macht über 200 Millionen Menschen und die alle fügen sich, sofort?
So ist es aber doch meistens bei Putschen, oder? Gut, ob das nun in den USA so reibungslos gehen würde, mag mal dahingestellte sein, da sehe ich deine Zweifel (andererseits, wenn ich da an die gröhlenden Horden denke, die Trump folgen ...). Aber wenn diese Bande gut geschult und lange vorbereitet ist und evtl. im Miltär genügend Rückhalt hat? Und ob die klein ist, wissen wir ja gar nicht. Wie einflussreich sie vorher waren, auch nicht. Dieser eine Kommandeur, der mit Lydia redet und dessen Namen ich nicht weiß, erwähnte ja, er wäre vorher schon wichtig gewesen.

Aus den Erinnerungen der Magd wissen wir ja auch, dass nicht alle Frauen sofort verhaftet wurden - sie lebte ja noch eine Weile dort, bevor sie flüchtete - natürlich ohne Arbeit, ohne Geld, also schon entrechtet, aber keineswegs verhaftet. Ich könnte mir vorstellen, dass erst mal die beruflich besonders "relevanten" Frauen eingesackt wurden, weil man wusste, man würde sich ihrer entweder bedienen können oder sie eliminieren müssen, weil sie als Gegner organisierter wären. Diese Ökonofrauen lässt man ja zum Beispiel ganz normal weiterleben.
Meines Erachtens fangen Dikaturen genau so an - man weiß schon vorher, wen man sich schnappt und so kann man zielgerichtet vorgehen und sich dann nach und nach vorarbeiten. Die Nazis haben es ja auch sehr schnell geschafft, alles auszuhebeln und Gewalt und Terror zu verbreiten - klar, weniger stabile Demokratie, aber es ging überraschend schnell und drastisch. Und dann gab es ja auch jene, die glaubten "Ja, das ist der unangenehme Übergang, die beruhigen sich irgendwann wieder." Hoffnung spielt eben auch eine Rolle, dass es ein unangenehmes Zwischenspiel ist (wurde ja auch offiziell so vermittelt, Übergangsphase) und damit Zeit, alles einzurichten und zu etablieren.

, die in ein paar Tagen "Dankfabrik" (das Wort ist allerdings wirklich schön, der Thank Tank statt des Think Tanks) auf Kurs gebracht werden - Richterinnen, die über Nacht zu Mördern werden, weil irgendwelche Leute es ihnen befehlen?
Weil sie gebrochen wurden und keine Wahl haben. Den Teil fand ich sehr realistisch. Was hätten diese Frauen sonst groß machen können? Mir fällt da gleich Stella Goldschlag ein. - Und Folter hat nun einmal durchschlagende Wirkung, ebenso wie das Deutlichmachen, dass der andere machtlos ist und man dessen Schicksal komplett in der Hand hat.
Der Daisy-Strang entwickelt sich zu Jane Bond,
Da stimme ich zu, das finde ich auch etwas überzogen und nicht unbedingt glaubwürdig.
und dass sich anscheinend jeder, ob Frau oder Mann, diesem RegimeChange unterordnet -
Wobei das ja auch nicht jeder tut. Es gibt die Untergrundbewegung, es gibt einen Krieg, bei dem nicht ganz klar ist, ob der sich gegen Rebellen oder gegen ein anderes Land richtig, da aber von keinem Kriegszustand mit einem anderen Land gesprochen wird, könnte ich mir vorstellen, dass es Rebellen sind. Und der Großteil der Menschen - auch da denke ich an die Nazidiktatur, Stalin, Afghanistan, den Iran etc. Genau das finde ich nämlich im Buch so gruselig - dass es so schon häufiger ablief. Und dass auch heute vermehrt Menschen irgendwelchen radikalen Gruppierungen hinterherhecheln, viele Staaten immer diktatorischer werden und manche psychologischen Mechanismen, mit denen Diktaturen Menschen brechen und manipulieren, immer noch Erfolg haben.

Aber ja, manches ist mir zu platt dargestellt im Buch, über manches muss man hinwegsehen und ich kann auch verstehen, dass es nicht jedermanns Sache ist. Ich kenne das auch bei manchen Büchern - wenn da Aspekte sind, über die ich nicht hinwegsehen kann oder möchte, weil sie für mich zu relevant danebenliegen, dann kann ein Buch wirklich ärgerlich machen.
 

FCK-Fan-Simone

Lehrerin und Mutter
Teammitglied
Ich verstehe dich, Talion. Liest du trotzdem noch weiter oder brichst du ab?

Dass Lydia, die Richterin, mitgemacht hat, finde ich schlüssig. Ihr blieb ja kaum eine Wahl. Es sei denn, zu sterben, so wie es ihre Bekannte (Arbeitskollegin, irgendwas mit A) wohl gewählt hat. Um diese Frauen dieser Stadt im Stadion zu kontrollieren, brauchte es schon einige Wächter. Wenn das überall im Land so gewesen sein soll und die Männer derweil normal zur Arbeit gegangen sind, das ist wirklich unlogisch.
 

Talion

!!! Swiftie aus Überzeugung !!!
Danke für deine Ausführungen, Malou.

Ich glaube, das Problem bei mir waren in erster Linie die Erwartungen. Wobei ich meine Erwartungen außer "Hintergrundinformationen zu erhalten" kaum benennen kann, die wenigen neuen Infos überzeugen mich letztlich nur sehr bedingt.
Es ist natürlich auch eins klar (Schätze ich jedenfalls, sollte ich damit falsch liegen, bitte ich um Korrektur): Der Report der Magd war doch als alleinstehender Roman konzipiert, diese Fortsetzung 34 Jahre später nicht zuletzt dem Erfolg der Serie geschuldet?
Was ich meine, ist folgendes : Wenn man ein in sich stimmiges, schlüssiges, abgeschlossenes Werk hat (auch wenn das Ende offen ist, das offene Ende gehört ja zum Report dazu) und nach Jahrzehnten eine Fortsetzung schreibt, dann kann das Probleme mit sich bringen, halt Probleme, die neue Handlung und die Charaktere in Einklang mit dem Bekannten zu bringen.

Ich verwendete ja schon den Begriff "Mikrokosmos" : So überzeugend ich den Mikrokosmos der Magd finde - und eigentlich auch noch den Mikrokosmos von Tante Lydia, so wenig überzeugt mich das "Worldbuilding". Das ist jetzt vielleicht auch ein spezieller Tick von mir, dass ich als Fantasyfreund großen Wert darauf lege, dass die Welt, in der eine Geschichte spielt, in sich schlüssig sein muss.
Ich akzeptiere innerhalb einer literarischen Welt viele Besonderheiten, wenn alles in sich unter diesen Regeln stringent verläuft. Und ganz stringent erscheint es mir eben nicht.
Ich räume aber auch folgendes ein : Wenn die Geschichte nicht in den USA spielen würde, der Report nicht in den 80er Jahren (oder meinetwegen auch in den späten 70ern oder frühen 90ern, geschrieben war das Buch ja 1985) unserer realen Welt spielen würde, wäre ich mit dem ganzen wahrscheinlich nachsichtiger. In einer Fantasywelt könnte ich die Gründung eines theokratisch-diktatorischen Staates aus dem Nichts ohne größere Erklärungen weitaus eher akzeptieren. Den blitzschnellen Übergang der USA in diesen Staat kaufe ich als Leser aber nicht und nach den bisherigen 300 Seiten noch erheblich weniger als nach dem Report. Problem der Erwartungen.

So. Nun kann man natürlich sagen : Herrje, vergiss die USA, Verfrachte Gilead nach Hintervordererde, einem Paralleluniversum, die eigentlichen USA spielen hier doch gar keine Rolle - dann würde ich sagen : Ja. Hätte Atwood das mal getan 😁 - vermutlich ist dieser mentale Transport aber für mich zwingend erforderlich, damit ich die Story nochmal annehmen kann.

Ich akzeptiere es als einen persönlichen Tick von mir - und muss halt einen Weg finden, damit zurecht zu kommen. Letztlich ist es ja auch "nur" ein Buch und eine Warnung - und diese Funktion und Wirkung spreche ich dem ganzen natürlich nach wie vor in keiner Weise ab.

Dass grundsätzlich nachvollziehbar ist, dass sich Menschen unter Druck und in Lebensgefahr einem totalitären Regime unterordnen, steht außer Frage. Auch in Nazideutschland wird es ziemlich viele Leute gegeben haben, die nicht aus Überzeugung, sondern aus Angst oder aus Spaß an der Macht oder anderen Gründen führende Rollen ausübten, nicht jeder Nazi in Führungsposition wird ideologisch überzeugt gewesen sein, es mag durchaus unterschiedliche Gründe geben, eine Tyrannei zu dulden oder aktiv zu unterstützen.

@FCK-Fan-Simone : Ich denke, ich werde noch weiter lesen. Es ist ja schon irgendwie ganz spannend, das Erzähltempo ist viel höher als beim Report und ich will natürlich auch wissen, ob mein persönliches "Worst Case Ende" tatsächlich eintritt 😁
 
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