Der Hype um den 1. FC Lokomotive Leipzig nimmt schon etwas erstaunliche Züge an.
Zum Heimspiel der 3. Kreisklasse gegen Eintracht Großdeuben II werden im Zentralstadion (!) über 10.000 Zuschauer erwartet.
Und damit mehr als zu Zeiten des FC Leipzig oder bei Sachsen Leipzig.
Ausschnitte aus der TAZ:
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Sie wollen nicht mehr darüber reden, die Chaosjahre sind vorüber. Rund um das Bruno-Plache-Stadion hat man die letzten Spuren des VfB verschwinden lassen. Auf dem brüchigen Areal, das so aussieht, als stünde die Wende erst noch bevor, hat sich seit den großen Erfolgen von Lok nichts verändert: meterhohes Unkraut und Waschbetonarchitektur. Täglich kommen dutzende Menschen nach Probstheida, Fans, die sich jahrelang nicht haben blicken lassen. Weil sie das Gefühl hatten, nach der Wende betrogen worden zu sein. Um ihren Klub, um ihre Tradition.
Über 800 Mitglieder wurden seit der Neugründung geworben, viele helfen freiwillig, sie mähen Rasen, verkaufen Bratwurst und Bier. Insgesamt 15.000 Menschen sahen die ersten drei Auftritte im Plache-Stadion. Allein 200 Zuschauer waren zum ersten Training gekommen. Es war kein Training im eigentlichen Sinne, es war ein Casting. 100 Fans wollten Entwicklungshelfer werden, sie hatten eine der Zeitungsanzeigen gelesen. Einigen war das Vereinsleben so fremd wie das Cockpit einer Boeinig 747. Rainer Lisiewicz filterte die besten 20 heraus. Sein Mannschaftspuzzle, ein Thekenteam deluxe, kennt nach fünf Spielen noch keine Niederlage, das Torverhältnis beträgt 59:3. Zu den Schützen zählte auch der ehemalige DDR-Nationalspieler Henning Frenzel, ein 62-jähriger Veteran. Am Samstag wird Heiko Scholz auflaufen, früher war er in Leverkusen aktiv. Viele Idole haben sich um einen Tagestrip in die Vergangenheit beworben, es ist eine Offensive der Ostalgiker.
Zehn Jahre würde Lok brauchen, um auf dem schnellsten Weg erstklassig zu werden. "Das ist utopisch", sagt Präsident Steffen Kubald. Er hat lange als Fanbeauftragter beim VfB gearbeitet, auf seinem Schreibtisch stapeln sich mehrere Kilo Papier. Der Sponsorenpool wächst wöchentlich. Auf 400.000 Euro beziffert er den Etat, andere Vereine der Kreisklasse würden davon zwanzig Jahre zehren. Abends geht Kubald in einem Restaurant kochen, reich wird man in der elften Liga nicht. Keiner der Spieler verdient einen Cent. Sie arbeiten als Handwerker oder Büroangestellte, sie studieren, sie leben noch bei ihren Eltern und zum Training kommen die meisten, natürlich, möchte man fast sagen: mit dem Fahrrad. "Sie sind stolz, hier zu spielen. Manche würden dafür bezahlen", sagt Trainer Lisiewicz. Er selbst vertreibt hauptberuflich Solarien.
Nicht jeder freut sich über die Selbstheilung. Neidisch blickt der FC Sachsen Leipzig auf den Boom im Untergrund. Drunter und drüber ging es zuletzt in der Führung des Oberligisten. Dass nun der verhasste Rivale im schmucken Zentralstadion, wo seit Anfang des Jahres der FC Sachsen beheimatet ist, mehr Zuschauer anlocken soll, ist schwer zu verdauen. Den kleinen Riesen ist das egal. Gerne würden sie mit einem besseren Klub fusionieren, um ein paar Klassen zu überspringen. Sollte sich niemand finden, wird Lok weiter munter von Bolzplatz zu Bolzplatz tingeln. "Ich habe viel Geduld", erzählt Rainer Lisiewicz und blickt auf die Wimpel in seinem Büro, "Otto Rehhagel hat seinen größten Erfolg mit 65 gefeiert." Bis zum 65. Geburtstag hat er noch elf Jahre Zeit. Langsam wird er sich jener fremden Welt nähern, die aus der Ferne glitzert. Langsam wie eine Schnecke. Aber ohne Schulden. Und mit großer Tradition