So, und hier noch meine Gedanken zum restlichen Abschnitt. Ihr geht das alles wissenschaftlicher an, aber ich werde weiter einfach nur etwas unbedarfter meine persönlichen Eindrücke schildern (und einiges aus meinen Schulaufzeichnungen zitieren, was ich interessant finde) - ich hoffe, ihr habt gegen diesen meinen anderen Ansatz nichts.
Nacht
Das enge gotische Zimmer, da erinnere ich mich noch daran, wie unser Deutschlehrer uns erzählte, dass dies schon auf das enge, mittelalterliche Bild hinwies, welches Streben, Fortschritt, Wissenschaft verdammt.
Der Eröffnungsmonolog - wahrscheinlich kann fast jeder mit etwas Literaturinteresse zumindest ein oder zwei Zeilen davon. Wenn man bedenkt, was aus dem Faust alles in unseren Sprachgebrauch gefunden hat ... hach, der gute Goethe wäre hocherfreut, dessen bin ich mir sicher.
Mich plagen keine Skrupel noch Zweifel.
Fürchte mich weder vor Hölle noch Teufel -
Dafür ist mir auch alle Freud' entrissen.
Das finde ich ganz interessant - wenn das Leben keine Mysterien mehr hat, wenn man alles mit Wissen und Zynismus betrachtet, dann kann einem auch viel verloren gehen. Da fallen mir die Künstler ein, die gerade aus ihrem seelischen Leid ihre Kunst speisen können. Ist hier nicht unbedingt so gemeint, aber es passt schon in dem Sinne, dass (zu) viel Abgeklärtheit nicht uneingeschränkt gut sein muss.
Zur Magie noch etwas aus meinen Schulaufzeichnungen - der Werk zu Klarheit, also das Streben, geschieht über verschiedene Stufen, die aufeinander aufbauen. "Die Magie ist die Beschäftigung mit dem Übersinnlichen, sie will die Ursachen für die Welt, das Leben und die Ordnung erkennen. Das Ziel - das Erreichen der Klarheit - ist also immer noch dasselbe, aber jetzt wird es durch das Übersinnliche zu erreichen versucht. Dies ist eine neue Erfahrung, Faust ist also schon eine Stufe weiter auf dem Wege zur Klarheit, die Magie ist insofern ein Erfahrungsprozess."
"Faust möchte hinaus aus der Stube - 'Flieh! Auf! Hinaus in's weite Land!', benutzt dazu aber wieder nur ein Buch. Er benutzt das, was ihn zum Gefangenen macht, um freizukommen."
Mächtig Seelenflehn - wieder so ein herrlicher Ausdruck, der so viel aussagt.
Bei dem Geist muss ich immer schmunzeln, wie er Faust so abbügelt. Faust: "Ich bin's, bin Faust, bin deines gleichen!" und der Geist ganz locker: "Du gleichst dem Geist, den du begreifst, nicht mir!" und zieht ab.
Die Szene zieht sich für meinen Geschmack etwas, weil es sich immer um denselben Punkt dreht. Ich glaube, die Unterhaltung mit Wagner habe ich noch nie komplett aufmerksam gelesen.
Dann greift der Herr persönlich ein, bzw. schickt seine Assistenten, um Faust vom Suizid abzuhalten. Der ist aber noch religionsskeptisch (Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube). Aber immerhin rufen ihm die Glocken die Jugend in Erinnerung und "die Erde hat mich wieder."
Das gefällt mir - hier sieht man zwar das Wirken des Herrn, aber trotzdem die Skepsis gegenüber der Religion. Diese ist es nicht, die Faust vor der Selbsttötung rettet, sondern die Jugenderinnerungen wecken seine Freude am Leben wieder.
Vor dem Tor
Gefällt mir noch besser, seit ich weiß, dass das alte Frankfurt für die Umgebung Pate stand.
Ein schöner Überblick über die verschiedenen Stände, da merkt die Hobby-Historikerin in mir immer gleich interessiert auf.
Dann Fausts Hohelied auf den Frühling:
Vom Eise befreit sind Strom und Bäche
Durch des Frühlings holden belebenden Blick;
Im Tale grünet Hoffnungs-Glück;
Der alte Winter, in seiner Schwäche,
Zog sich in rauhe Berge zurück.
Während ich das hier schreibe, sehe ich auf die seit letzter Woche so knallgrünen Bäume hinaus. Ich liebe es, wie Goethe in diesen und den folgenden Zeilen das Frühlingsgefühl einfängt, und es ist so ein schönes Zeugnis, dass diese Freude beim Frühling vor hunderten von Jahren bereits so herrschte, wie wir sie empfinden. Das ist eine schöne Verbindung zu früheren Zeiten. (Und dann haut der olle Wagner mit seinem Pathos der leichten Stimmung eine vor den Latz ...)
Dann knallharte Religionskritik von Faust:
Hier saß ich oft gedankenvoll allein
Und quälte mich mit Beten und mit Fasten.
An Hoffnung reich, im Glauben fest,
Mit Tränen, Seufzen, Händeringen
Dacht ich das Ende jener Pest
Vom Herrn des Himmels zu erzwingen.
Der Menge Beifall tönt mir nun wie Hohn.
O könntest du in meinem Innern lesen,
Wie wenig Vater und Sohn
Solch eines Ruhmes wert gewesen!
Für jene Zeit sehr offen kritische Worte.
Sein Rückblick auf die Pest, da haben wir gleich wieder einen historischen Verweis und erfahren etwas von seiner Arbeit. Und seiner Desillusionierung, was ich bei einem Pestarzt verstehen kann.
Dann wieder herrliche Zeilen:
Ich säh im ewigen Abendstrahl
Die stille Welt zu meinen Füßen,
Entzündet alle Höhn, beruhigt jedes Tal,
Den Silberbach in goldne Strömen fließen.
Ich liebe auch Goethes Gedichte über Natur. Ich finde, man merkt, wie er diese kannte und liebte.
Ach ja, noch etwas aus meinen Schulaufzeichnungen:
"Eine neue Stufe ist erreicht, die anderen Versuche, zur Klarheit zu kommen (Wissenschaft, Magie) werden abgebrochen. Faust ist jetzt einfach nur Mensch. Der Winter ist sein altes Leben, das vorbei ist, etwas Neues ist da und dies sogar in vier Bereichen:
1. die Natur überwindet den Winter ("Vom Eise befreit sind Strom und Bäche Durch des Frühlings holden belebenden Blick")
2. Faust überwindet sein altes Wesen ("Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern")
3. die Menschen sind ans Licht gebracht, hinaus in die Natur, näher zur Klarheit
4. die Religion (Auferstehung Christi)
Faust ist erleichtert, eine neue Klarheit zu erreichen, ruft die Geister zur Hilfe, die ihn zu neuen Erfahrungen führen sollen ('Und führt mich weg zu neuem, buntem Leben!'). Dies ist gewissermaßen die Aufforderung an Mephisto. Dieser glaubt, mit 'neuem, buntem Leben' meint Faust weltliche Genüsse - dadurch beginnt sein Unternehmen unter falschen Voraussetzungen und er kann sein Ziel nicht erreichen."
Ich finde das
Die eine hält, in derber Liebslust,
Sich an die Welt, mit klammernden Organen
so herrlich ausgedrückt! Das ist so bildhaft und ein origineller Umgang mit Sprache und Worten. Er konnte es einfach!