München - Die Kritik an Borussia Dortmunds Präsident Gerd Niebaum hält an. Nach seinen unwahren Behauptungen gehen viele vom baldigen Aus des BVB-Machers aus. Angeblich soll in Reinhard Rauball ein neuer Präsident und in Ottmar Hitzfeld ein neuer Trainer bereit stehen. (Wieso bitte ein neuer Trainer?
)
"Ich habe das Gefühl, dass ich gekillt werden soll. Was hier im Moment passiert, ist Rufmord", sagte der 55-jährige der "Welt".
Niebaum will aber weiter um sein Amt kämpfen und sieht "eine gewaltige Schmutzkampagne" seiner Gegner, die er im "engen BVB-Zirkel" vermutet. Doch öffentlich hat sich bisher kaum einer geäußert.
Nun spricht der ehemalige BVB-Schatzmeister Werner Wirsing bei Sport1. "Mir hat das Herz geblutet", gesteht der Eigentümer mehrerer Unternehmen mit Blick auf das Rekordminus des Vereins. Er übt scharfe Kritik an Präsident Gerd Niebaum und fordert Satzungsänderungen.
Sport1: Herr Wirsing, Dr. Niebaum hat sich mit seinen unwahren Aussagen ins Abseits manövriert. Ist er in Ihren Augen als Präsident von Borussia Dortmund noch tragbar?
Werner Wirsing: Wenn wir das juristisch spitzfindig sehen, hat er nicht die Unwahrheit gesagt. Er sagte, er hätte keinen Brief bekommen, bezogen auf den, der am Donnerstag durch die Presse ging. Dr. Niebaum hat sich da sicher nicht sauber verhalten. Es ist aber zu leicht, das von außen zu kommentieren. Bei aller kritischen Betrachtung muss man auch die Situation sehen. Auf Gerd Niebaum und Michael Meier lastet ein Druck, der zu Kurzschlusshandlungen führen kann.
Sport1: Aber es war doch ein Fehler von Herrn Niebaum.
Wirsing: Natürlich! Da kann ich nur sagen: "Gerd, wie konntest du nur so doof sein?"
Sport1: Reinhard Rauball wird bereits als Nachfolger genannt. Wäre er für Sie ein Kandidat?
Wirsing: Ich werde auf der Mitgliederversammlung eine notwendige Satzungsänderung vorbringen. Das heutige Problem ist eine Auswirkung der falschen Satzung. Wir gaben dem Vorstand eine Allmacht, wodurch er seine eigenen Kontrolleure stellt. Ein wichtiges Kernstück der Satzungsänderung ist daher, dass der Vorstand des Vereins ein Kontrollorgan der Geschäftsführung wird. Unter dieser Prämisse würde ich mir wünschen, dass Herr Dr. Rauball Präsident wird. Er besitzt wirtschaftlichen Sachverstand und er wird in der Lage sein, die Geschäftsführung der KGaA zu kontrollieren.
Sport1: Und was wird aus Herrn Niebaum?
Wirsing: Mein Vorschlag ist, die Systeme zu ändern, anstatt Köpfe rollen zu lassen. Es ist ja auch nicht der Kopf von irgendjemandem. Herr Niebaum hat in den 90-er Jahren für diesen Verein und diese Stadt sehr viel Positives geleistet. Er hat Borussia Dortmund zum Weltpokalsieger und zum Champions-League-Sieger gemacht. Dinge, die wir noch vor 15 Jahren für unmöglich gehalten haben.
Sport1: Also soll er seine Funktion als Geschäfstführer der KGaA behalten?
Wirsing: Leute, die sich für einen Verein so verdient gemacht haben, die köpft man nicht einfach. Man muss ihm die Chance zur Wiedergutmachung geben, allerdings unter strenger Kontrolle. Die Zeit der Alleinherrschaft muss vorbei sein. Herr Niebaum hat zwar die letzten Jahre Mist gebaut, sehr viel Mist sogar, aber diesen Mist haben andere mitgetragen. Andere haben unterzeichnet und genickt. Aus diesem Grund gefällt es mir nicht, dass augenblicklich die Kritik nur an der Person Niebaum festgemacht wird.
Sport1: Trauen Sie der jetzigen Führung denn die Wende noch zu?
Wirsing: Herr Niebaum und Herr Meier müssten von einem dritten Profi unterstützt werden. Die Stärke des Herr Niebaum liegt darin, Gelder zu beschaffen und Sponsoren zu gewinnen. Er hat sicherlich viel verspielt, aber ich traue ihm zu, das zurückzugewinnen.
Sport1: Stünden Sie noch für einen Posten parat?
Wirsing: Ich lege mich so ins Zeug, da ich keine Rücksicht darauf nehmen muss, ob ich jemandem gefalle oder nicht. Ich sage die Dinge, die meiner Meinung im Interesse des Vereins gesagt werden müssen. In Dortmund wurden in der Vergangenheit viele Dinge nicht deutlich ausgesprochen.
Sport1: Wie ist der BVB in der augenblicklichen Situation noch zu retten?
Wirsing: Der BVB kann auf eine breite Unterstützung zurückgreifen: Die Zuschauer im Stadion und eine finanzielle Grundlage dank der erfolgreichen Kapitalerhöhung. Nötig ist aber wahrscheinlich noch die Umschichtung und Zusammenführung der jetzigen Verbindlichkeiten, damit man es nur noch mit einem Gläubiger zu tun hat. In meinen Augen kann dies nur die Schechter-Anleihe sein.
Sport1: Ginge es nach Ihnen, dann soll Dortmund ohne die Millionen des Herrn Homm auskommen?
Wirsing: Die hat der Verein ja schon. Aber das wird nicht ausreichen, deshalb muss eine Umschichtung stattfinden. Ich glaube, Herr Homm hofft darauf, dass Borussia wieder in vernünftige Fahrwasser kommt und sich die sportlichen Erfolge wieder einstellen werden. Das wird letzten Endes dem Aktienkurs gut tun. Herr Homm ist in erster Linie Finanzinvestor und lebt von steigenden Kursen. Dafür benötigen wir eine langfristige Sicherung des Vereins und die sportlichen Erfolge.
Sport1: Ist der sportliche Erfolg angesichts der Probleme überhaupt noch möglich?
Wirsing: Wir haben immer noch eine der teuersten und namentlich am Besten besetzten Mannschaften der Liga. Borussia hat Spieler, die jeder Fußballinteressierte in Deutschland kennt. Dieses große Potenzial muss nur umgesetzt werden. Die Spieler müssen das als Leistung bringen, was sie am Monatsende als Gehalt einstreichen.
Sport1: Dann sind die Spieler derzeit aber maßlos überbezahlt.
Wirsing: In jedem Fall. Generell wird in der Bundesliga ohnehin zu viel Geld gezahlt. Die Vereine haben zuviel Geld bekommen und haben dies für erhöhte Ablösesummen Gehälter wieder ausgegeben. Als ich 1988 Schatzmeister war, gab es keine drei Spieler in der Bundesliga, die mehr verdienten als ich. Heute bin ich als Unternehmer erheblich gewachsen, aber es gibt keine drei Spieler, die weniger verdienen als ich.
Das Gespräch führte Jens Müller